"Einzelne Züge zu einer Charakteristik des P. Pius IX."
"Oft hört und liest man, daß die Freimaurer ihre Mitglieder zu Ruhm und Ehren zu erheben wissen, wenn sie auch persönlich oder ihre Leistungen noch so unbedeutend sind. Nirgends ist aber dieses Manöver offenkundiger als bei den Jesuiten und ihren Anhängern. Es scheint, dass die Freimaurer auch hierin nur die Schüler der Jesuiten sind, welche sich gerne rühmen, daß ihre Ordens-Statuten die besten und deshalb von den Freimaurern nachgeahmt seien. Kein Beispiel in dieser Beziehung ist aber schlagender, als das Pius’ IX. Was haben die Jesuiten doch aus ihm geschaffen! Sie haben ihn zu einem “Idol” für die katholische Welt gemacht; sie haben ihn mit einem Nimbus zu umkleiden gewußt, als ob er der größten Päpste Einer, wenn nicht der größte sei. Und doch ist er in Wirklichkeit einer der unfähigsten und unselbständigsten; aber er ist ein gefügiges Werkzeug der Jesuiten geworden. Warum? Das weiß man noch nicht; manche sehr unterrichtete Personen meinen, weil sie seine Gläubiger sind, die zu dessen planlosem und verschwenderischem Thun das Geld bieten. Ein unverständiger Politiker, hat er – in Rom kann man dies überall hören – den Kirchenstaat verloren; ein unwissender Geistlicher, verwirrt er die Kirche. Eitelkeit ist sein hervorstechendster Zug.
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Die theologischen Studien scheinen keinen besonderen Reiz auf ihn ausgeübt zu haben; denn noch jetzt erzählt man sich in Rom unverhohlen davon, daß seine darüber bestandene Prüfung nur den Beweis grasser Ignoranz lieferte. Allein “die guten Männer der alten Schule” glaubten bei dem jungen Grafen ein Auge zudrücken und ihn also zur Weihe begutachten zu sollen, indem sie der Meinung waren, daß er nie in höhere kirchliche Ämter gelangen werde.
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Schon als Bischof ließ er aber jene Eigenschaften hervortreten, welche sein Pontifikat charakterisieren: Unduldsamkeit einer anderen Meinung und Heftigkeit des Charakters.
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Pius hatte schon 1846 von der Berufung eines allgemeinen Concils gesprochen und in Gaeta hat er bereits die Definirung der Immaculata Conceptio sich vorgenommen.
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Theologisch und überhaupt wissenschaftlich wenig gebildet, kostet es bei ihm keine große Mühe, ihm irgendeine Ansicht beizubringen, und hat er diese einmal gefaßt, so läßt es seine Eitelkeit und sein Eigensinn nicht mehr zu, dieselbe aufzugeben. Daher kommt es auch, daß er mit Leidenschaftlichkeit für Dinge eintreten kann, deren Sinn er nicht einmal erfaßt hat. Was ereignete sich doch, als er die Immaculata Conceptio definirte! Nach den langen Vorbereitungen, nachdem eine Reihe von Schriften, besonders das große, dem Papste selbst gewidmete Werk des Jesuiten Passaglia, darüber geschrieben war, wußte, wie Passaglia – damals noch hochangesehener Jesuit – erzählte, Pius, nachdem er das Decret der Definition unterzeichnet hatte, noch nicht einmal, um was es sich bei der Immaculata Conceptio handelt!
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Zu all dem kommt, daß sich wohl noch kein Papst so gerne selbst reden hörte, als Pius: er hält sich auf Grund seiner natürlichen Suada für einen ausgezeichneten Redner und glaubt bei jeder Gelegenheit, auch unvorbereitet, nicht nur sprechen zu können, sondern auch sprechen zu müssen. Das Audienzengeben war nie am römischen Hofe zu einem solchen Umfange gediehen, als unter ihm. Nun läßt er bei solchen Gelegenheiten seiner Zunge in der Regel freien Lauf: Die ungeschicktesten Dinge spricht er ohne Bedenken aus und auch unbekümmert darum, wen er vor sich hat, ob einfache Gläubige, welche ihm in Ehrfurcht als ihrem obersten Hirten nahen, oder die Vertreter auswärtiger Fürsten.
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(Johannes Friedrich. Tagebuch. Während des Vaticanischen Concils geführt. Zweite vermehrte Auflage. Nördlingen: Druck und Verlag der C. H. Beck’schen Buchhandlung, 1873, S. 415–422.)
Hier der Link zu ganzen Buch:
google.com/books/about/Tagebuch.html?hl=de&id=qC0tAAAAYAAJ