Exklusiv-Interview mit Bischof Athanasius Schneider zum Abu Dhabi Dokument

Bischof Athanasius Schneider: Bis jetzt hat weder der Papst selbst noch ein von ihm beauftragtes Organ des Hl. Stuhles eine öffentliche Richtigstellung gemacht mit direktem Bezug auf die fragwürdige Passage über die „Vielfalt der Religionen“ im „Dokument über die Geschwisterlichkeit aller Menschen für ein friedliches Zusammenleben in der Welt“ („Document on Human Fraternity for World Peace and Living Together“), das der Papst und der Kairoer Großimam Ahmad Mohammad Al-Tayyeb am 4. Februar 2019 in Abu Dhabi unterzeichnet haben.
Diese Formulierung über die Vielfalt der Religionen hat deshalb immer noch Gültigkeit.
Darüber hinaus hat der Päpstliche Rat für den Interreligiösen Dialog in einem eigenen Schreiben vom 21. Februar 2019 dieses Dokument an alle kirchliche Hochschulen verschickt mit dem Vermerk, dass „der Heilige Vater diesen Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog gebeten hat, zur größtmöglichen Verbreitung dieses Dokuments beizutragen.“ Der Papst hat dabei dem Schreiben des Päpstlichen Rats für den Interreligiösen Dialog leider keinerlei Erklärung oder eine authentische Interpretation der diskutierten Formulierung beigefügt.
In dem Schreiben des Päpstlichen Rats für den Interreligiösen Dialog wird sogar die folgende Stelle des Dokuments zitiert, die sagt, dass die Unterzeichner des Dokuments versprechen, „sich dafür einzusetzen, die in dieser Erklärung enthaltenen Grundsätze auf allen regionalen und internationalen Ebenen zu verbreiten, indem sie dazu auffordern, diese Grundsätze in Politik, Entscheidungen, Gesetzestexten, Studienprogrammen und Kommunikationsmaterialen umzusetzen.”
Gloria.tv: Professor Seifert hat auch erklärt, dass es keine feierliche Erklärung brauche, um festzustellen, dass alles, was existiert, vom Willen Gottes zugelassen ist. Könne Sie die Erklärung, die Papst Franziskus Ihnen vorgelegt hat, verstehen.
Die Worte des Papstes, dass es sich bei der Vielfalt der Religionen um den „zulassenden“ (permissiven) Willen Gottes handelt, sind als solche richtig, wenn man sie abstrakt und als Grundsatz formuliert.
Allerdings bezog sich meine Frage direkt auf die diskutierte Stelle im Dokument, wo die Vielfalt der Religionen in einem Atemzug und ohne jegliche Einschränkung auf derselben Ebene wie die Verschiedenheit der Geschlechter und der Völker ausgesagt wird.
Gloria.tv: Die von Ihnen verbreitete Korrektur hat sich in Windeseile verbreitet, fand aber keinen Niederschlag in offiziellen vatikanischen oder kirchlichen Medien. Welche Bedeutung hat also die Erklärung, die Sie von Papst Franziskus erhalten haben?
Da ich kein Pressesprecher des Hl. Stuhles bin, und auch keinen formellen Auftrag erhielt, im Namen des Papstes zu sprechen, haben die Worte des Papstes, die er mir am 1.März 2019 bei der Audienz anlässlich des „Ad limina Besuchs“ sagte, privaten Charakter.
Ich hatte dem Papst meine Anfrage, die ich bei der Audienz mündlich formulierte vor der Audienz persönlich auch in schriftlicher Form überreicht. In meinem Text von 1.März habe ich den Papst gebeten, die betreffende Formulierung im Abu Dhabi Dokument zurückzunehmen.
Papst Franziskus hat mir dann freundlicherweise in einem Brief vom 5. März 2019 persönlich geantwortet, wobei er wiederholte, dass es sich bei der Verschiedenheit der Religionen um den „permissiven Willen Gottes“ handelt.
Am 25. März 2019 habe ich dem Papst nochmals einen persönlichen Brief geschrieben. In diesem Brief habe ich ihn gebeten, dass er seine Worte vom „permissiven“ Willen Gottes bezüglich der Verschiedenheit der Religionen, die er mir mündlich am 1. März und dann im Brief vom 5. März auch schriftlich mitteilte, öffentlich für die ganze Kirche aussagen möge, und zwar wegen der täglich zunehmenden Verwirrung in der Kirche bezüglich der Wahrheit, dass der Glaube an Jesus Christus als den einzigen Erlöser der Menschen die einzige von Gott direkt und positiv gewollte Religion sei.
Gloria.tv: Während der Generalaudienz vom 3. April 2019 sprach der Papst dieses Thema mit folgenden Worten an: „Warum lässt Gott es zu, dass es viele Religionen gibt? Gott wollte es zulassen: Die Theologen der Scholastik sprachen von der »voluntas permissiva« Gottes. Er wollte diese Wirklichkeit zulassen: Es gibt viele Religionen”. Hat diese Aussage die Probleme beseitigt?
Bei dieser Formulierung nimmt der Papst keinen direkten Bezug auf die diskutierte Stelle des Abu Dhabi Dokuments. Die Formulierung des Papstes “Gott wollte diese Wirklichkeit zulassen” entbehrt der Eindeutigkeit. Es fehlt nämlich die Aussage, dass der Glaube an Jesus Christus und somit an die Offenbarung des dreieinigen Gottes, die einzige Religion ist, die Gott positiv will, wobei er die anderen Religionen in seinem Willen nur “zulässt”, genauso wie Er auch andere Wirklichkeiten, die Seinem Willen widersprechen, zulässt.
Papst Franziskus war so aufmerksam, dass er mir mit einer kleinen handschriftlich geschriebenen Karte vom 7. April 2019 eine Kopie seiner Aussage in der Generalaudienz vom 3. April übermittelt hat. Dafür bin ich ihm natürlich dankbar.
Wenn auch die Aussage von Papst Franziskus vom 3. April als ein kleiner Fortschritt anerkannt werden muss, so bleibt jedoch die in sich unrichtige Aussage im Dokument von Abu Dhabi weiterhin ohne eine klare und authentische Richtigstellung im Raum der Kirche und wird sogar noch in dieser objektiv irrtümlichen Formulierung weiter verbreitet.
Leider wird dadurch die Wahrheit von der Einzigkeit Jesus Christi als Erlöser der Menschen und folglich der Glaube an Ihn als einzige gottgewollte Religion, relativiert. Somit wächst immer mehr die Gefahr der Leugnung des Wesens des ganzen Evangeliums und somit des „depositum fidei“.
Gloria.tv: Papst Franziskus sagte in der Generalaudienz vom 3. April 2019 auch dass vor 800 Jahren der hl. Franziskus die Botschaft des Friedens und der Brüderlichkeit zum Sultan al-Malik al-Kamil brachte.
Die volle geschichtliche Wahrheit ist allerdings diese, die uns der hl. Bonaventura bezeugt, wo es heißt, dass der hl. Franziskus „durch eine Weisung Gottes erleuchtet, dem Sultan zur Antwort gab: „Wenn du dich mit deinem Volke zu Christus bekehren willst, will ich aus Liebe zu ihm gern bei euch bleiben. Solltest du aber Bedenken tragen, für den Glauben an Christus das Gesetz des Mohammed zu verlassen, dann lass ein großes Feuer anzünden; dann werde ich mit deinen Geistlichen ins Feuer hineingehen, damit du wenigstens dadurch erkennen mögest, welchen Glauben man mit mehr Recht als sicherer und heiliger festhalten muss.“ (Legenda maior 8, 8-9).
Der hl. Bonaventura hob hervor, dass der hl. Franziskus „dem Sultan mit außerordentlicher Unerschrockenheit, Geisteskraft und Glut den einen, dreifaltigen Gott und den Erlöser aller Menschen Jesus Christus predigte“ (Legenda maior 8, 6).
Die ganze Kirche und an erster Stelle der Heilige Vater Papst Franziskus sollten vor allem in der heutigen Zeit, wo die Einzigkeit unseres Herrn und Erlösers Jesu Christi so gefährlich relativiert wird, der ganzen Welt nach dem Beispiel des hl. Franziskus den einen, dreifaltigen Gott und den Erlöser aller Menschen Jesus Christus predigen. Das Dokument von Abu Dhabi war dagegen diesem Hauptauftrag der Kirche nicht förderlich.
Gloria.tv: Professor Seifert weist darauf hin, dass Papst Franziskus in der Erklärung, die er vor Ihnen abgegeben hat, im gleichen Atemzug die Unterschiedlichkeit der Geschlechter und die verschiedenen Religionen auf den zulassenden Willen Gottes bezieht. Doch die Existenz von Mann und Frau ist von Gott nicht einfach zugelassen, sondern positiv geschaffen und positiv gewollt. Hat sich Papst Franziskus also in einen Widerspruch verstrickt?
Die Behauptung dass es sich bei der Verschiedenheit der Religionen im Abu Dhabi Dokument um den permissiven Willen Gottes handelt, muss den permissiven Willen Gottes von der objektiven Logik der Aussage des Satzes her auch auf die Verschiedenheit des männlichen und weiblichen Geschlechts beziehen.
Der Papst muss diese Aussage neu formulieren lassen, um jegliche Zweideutigkeit in so einer wichtigen Angelegenheit des Glaubens zu vermeiden.
Gloria.tv: Sie haben darauf hingewiesen, dass Rom bemüht ist, die Abu Dhabi Erklärung weitest möglich zu verbreiten. Diese Lehre soll nicht nur Papier bleiben. Was hat das für Konsequenzen für die Kirche?
Die Konsequenz wird sein und ist schon festzustellen, dass die Einzigkeit unseres Herrn und Erlösers Jesu Christi, und somit auch das Wesen des ganzen Evangeliums und der Göttlichen Offenbarung relativiert wird.
Dadurch wird ein anderes Evangelium verkündet, ein Evangelium, das nicht das ist, was das Menschgewordene Wort Gott gelehrt, die Apostel getreu gepredigt und der Kirche weitergegeben haben.
Es kann gar kein Zweifel darin bestehen, dass der hl. Paulus bezüglich der diskutierten Formulierung im Abu Dhabi Dokument heute sagen würde: “Auch wenn wir selbst oder ein Engel vom Himmel euch ein anderes Evangelium verkündeten als das, das wir verkündet haben - er sei verflucht. Was ich gesagt habe, das sage ich noch einmal: Wer euch ein anderes Evangelium verkündet im Widerspruch zu dem, das wir verkündet haben - er sei verflucht.” (Gal. 1, 8-9).
P. Thomas Weinandy OFMCap., Mitglied der Päpstlichen Theologenkommission, hat in einem Interview mit Lifesitenews vom 3. April 2019 die Wirkung des Abu Dhabi Dokuments treffend und realistisch mit diesen Worten zusammengefasst:
„Was ich sehr traurig und skandalös besorgniserregend finde, ist die Tatsache, dass inmitten alldem Jesus beleidigt wird. Er wurde auf die Ebene von Buddha oder Mohammed erniedrigt, wo Er hingegen der vielgeliebte Messianische Sohn des Vaters ist, in dem der Vater sein Wohlgefallen hat” (What I find very sad and scandalously troubling is that, in the midst of it all, Jesus is being insulted. He is reduced to the level of Buddha or Mohammed when in fact he is the Father’s beloved Messianic Son, the one in whom the Father is well pleased.”).
Gloria.tv: Wie soll es weitergehen?
Mein brennender Wunsch ist, dass sich täglich die Stimmen unter den Bischöfen, Priestern und Gläubigen mehren, die respekt- und liebevoll den Papst bitten, die betreffende Aussage im Abu Dhabi Dokument unmissverständlich richtigzustellen, und dabei den einen, dreifaltigen Gott und den Erlöser aller Menschen Jesus Christus mit der Glut der Apostel und des hl. Franziskus allen Menschen zu predigen.
1. Mai 2019
+ Athanasius Schneider, Weihbischof der Erzdiözese der Heiligen Maria in Astana