Schönborn: Papstrückzug zeigt Spielräume im Umgang mit Tradition
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Keinen Spielraum zur Veränderung sieht der Wiener Erzbischof hingegen bei jener Form von «Tradition», die als «Glaubensüberlieferung» verstanden werde. Diese gelte für Lehren, die in der Kirche «seit ihrem Anfang vorhanden» seien und «auf die Weisungen Jesu zurückgeführt» würden. Dazu sei nach katholischem Verständnis beispielsweise die Unauflöslichkeit der Ehe zu zählen.
Diese grundsätzliche Unterscheidung lässt sich nach Worten Schönborns auch auf mögliche Veränderungen in der Leitung und Verwaltung der Kirche anwenden. Letztere könne «frei gestaltet werden». Der Wiener Erzbischof machte in diesem Bereich «durchaus Verbesserungspotenzial» aus, etwa im Zusammenwirken der Kurienchefs". Anders sei es jedoch mit der «Leitung der Weltkirche, also dem obersten Hirten-, Lehr- und Richteramt des Papstes». Dieses sei «eine unteilbare Verantwortung der Person des Papstes», so wie sie auch «jeder Bischof in seiner Diözese» habe.
Trotzdem bleibe die wichtige Frage, «wer konkret was zu entscheiden
hat: der einzelne Bischof, die Gemeinschaft aller Bischöfe oder der Papst?» Da müsse man «immer wieder nachjustieren», so Schönborn. Die päpstliche Bürokratie im Vatikan müsse so angelegt sein, «dass sie dem Primat des Papstes auf vernünftige Weise dient und ihn nicht ersetzt».
Kernaufgabe des nächsten Papstes sei es, «den Menschen den Weg zu Gott aufzuschließen, ihnen beizustehen und ihre Würde zu verteidigen». Schönborn verwies auf die sich dramatisch verändernde Stellung der Kirche in der Gesellschaft. Letztlich gehe es darum, dass sie «vielerorts wieder und neu das Vertrauen der Menschen gewinnen muss».
Die konkreten Anforderungen an die Person folgten denselben Kriterien, wie sie auch schon beim jetzigen Papst zum Tragen gekommen seien, betonte der Kardinal weiter. Weil der Papst der «oberste Hirte» sei, müsse er «die Festigkeit des Glaubens haben, die ihn befähigt, die tragenden Pfeiler der katholischen Lehre vom bloßen Zierrat zu unterscheiden und diese Pfeiler zu hüten, damit der Glauben der katholischen Lehre authentisch bleibt und den Menschen Heil bringt». Angesichts der heutigen Medienwelt müsse der Papst zudem «der sichtbarste Verkünder des Glaubens» sein.
Den Amtsverzicht Benedikts XVI. wertete Schönborn als eine «höchstpersönliche Gewissensentscheidung», die bereits im Kirchenrecht von 1917 klar geregelt und vorgesehen war. Wichtig sei, dass ein solcher Amtsverzicht «aus freien Stücken erfolgt», betonte der Kardinal mit Blick auf möglichen öffentlichen Druck auf künftige Amtsinhaber.