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Das Buch mit weiteren Texten (siehe www.eissings.de).

Reaktive republikanische Tugenden einst und heute

In der Debatte über die Euro-Rettung und die Flüchtlingsströme aus Syrien und Nordafrika sind immer wieder Bilder vom Untergang Roms durch die Völkerwanderung bemüht worden. Diese Bilder stehen in der Tradition der Republik, die aber ist bereits in der Generation vor Christus untergegangen und zwar aus einer gefährlichen Mischung außerordentlicher Erfolge und sturer Unfähigkeit. Die aktuelle Krise Deutschlands und Europas hat mehr mit dem Ende der römischen Republik als mit der Völkerwanderung zu tun. Nachdem Rom 146 vor Christus Karthago und Korinth zerstört hat, ist der Weg für einen römischen Kultur- und Wirtschaftsraum rund um das Mittelmeer frei. Über diese außerordentliche Erfolgsgeschichte zerbricht der Konsens der römischen Gesellschaft: Von den Brüdern Gracchen über Cinna und die konservative Gegenrevolution des Sulla findet Rom erst unter Caesar und seinem Adoptivsohn Oktavian (Augustus) wieder Halt und Ruhe. Der Erfolg des kaiserlichen Roms beruht auch darauf, dass es den Caesaren gelingt, die kompromissbereiten Kreise der republikanischen Elite mitzunehmen. Im literarischen Streit zwischen Ciceros CATO und Caesars ANTICATO zeigen sich die gegensätzlichen Konzepte und politischen Linien.

ANTICATO war wohl der Titel von Caesars Buch, auch wenn es aus zwei dicken Schriftrollen bestanden haben soll, weshalb andere von ANTICATONES schreiben. Caesar hat seinen ANTICATO noch im März 45 v. Chr. geschrieben, in Spanien, wo er am 17. März 45 v. Chr. die Armee seiner konservativen republikanischen Widersacher besiegt. Ein Jahr zuvor hatte Caesar am 6. April 46 v. Chr. in Thapsus (in der Nähe von Karthago) über seine republikanischen Widersacher gesiegt. Seinen Gegnern begegnet Caesar im Bürgerkrieg mit Milde und Barmherzigkeit, aber der unterlegene Cato entzieht sich nach Thapsus dieser Milde und Barmherzigkeit und begeht Selbstmord. Nur drei Monate später hat Cicero seine Lobrede auf CATO, den unbeugsamen Republikaner, fertig geschrieben.

Nun ist es römische Tugend und Haltung, durch Taten zu wirken. Und einen Krieg zu verlieren, ist eine Tat, die nur schwer ins Heldische gewendet werden kann. Aber Cato war seit den Beratungen über die Verschwörung des Catilina der Gegenspieler Caesars, unbeugsamer Wächter römischer Tugenden und Wahrheiten, auch wenn er zur Lösung der Staatskrise wenig beitrug oder gar mit seiner unbeugsamen Haltung den Staat tiefer in den Bürgerkrieg hineintrieb. Mit seinem Selbstmord aber gelingt Cato etwas, das Ewigkeitswert erlangt, weil er seinen Namen freigibt als Marke für eine Märtyrergeschichte gegen das nun von Cäsar beherrschte Rom. Die literarische Verdichtung dieser Märtyrerlegende liefert Cicero mit seinem Buch CATO.

Noch im September 46 v. Chr., gut fünf Monate nach Thapsus, hatte Cicero in einer Rede für Marcellus ein Bekenntnis zu Caesar abgelegt und zugleich diesen auf die Wiederherstellung einer sittlich erneuerten Republik verpflichtet. Immerhin auch das Eingeständnis, dass die Republik verdorben oder beschädigt war. Aber im November folgte dann die Veröffentlichung von Ciceros CATO und das muss Caesar getroffen haben. Die Republikaner hatten nun einen Märtyrer und eine dazu passende Heiligenlegende. Anknüpfend daran setzte eine idealisierte Verklärung des Catobildes ein, kritische Gegenargumente wurden an den Rand gedrängt und schließlich wurde aus Cato das Beispiel unerschrockenen Eintretens für die Freiheit der Republik und sittenstrenges Römertum. Die Wucht dieser Legende können wir heute noch spüren, wenn wir nur die Schulbücher für den Lateinunterricht durchblättern. Der militärische Stab Caesars hat noch im März 45 v. Chr. in Spanien die von Ciceros Schrift ausgehende Gefahr eines literarischen Aufstands erkannt und schon bald reagiert. Eine erste Antwort von Hirtius scheint nicht gelungen zu sein, denn Cicero schreibt nach der Lektüre an Atticus, dass durch diese Schrift das Lob des Cato sich noch vermehren werde. Caesar selbst muss diese Sicht wohl geteilt haben, denn nun nimmt er selbst die Feder in die Hand.

Ciceros CATO und Caesars ANTICATO sind beide nicht mehr erhalten und nur aus Zitaten und Bruchstücken überliefert. In der republikanischen Heldensaga ist der ANTICATO eine beschämende und unverständliche Schmähschrift über einen Toten (auch Christian Meier: Caesar). Tatsächlich aber ist Caesars ANTICATO eine vorsichtige und sorgsame Arbeit, die den langfristigen politischen Kurs der römischen Caesaren vorzeichnet, so Hans Jürgen Tschiedel in: Caesars ‚ANTICATO’. Caesars Absicht ist keineswegs eine direkte Entgegensetzung, sondern ihm geht es vielmehr darum, gegen die Verklärung des Cato Tatsachen aus seinem zum Teil doch skurrilen realen Leben zu sammeln. Gegen Cicero wendet sich Caesar nicht, auch wenn er ihn als einen Mann rühmt, der Rom durch geistige Leistungen mächtiger gemacht habe. Eine Spitze des Tatmannes gegen den Literaten. Cicero aber ist in der römischen Elite einer von den Kompromissbereiten. Und genau hier verläuft die politische Linie Caesars: die gutwilligen Kräfte des republikanischen Bürgertums mitnehmen, Cato aber entmystifizieren. Ansatzpunkte gab es für diese Vorgehensweise genug. Etwa wenn Cato, der gerne dem Weine zusprach, in der Morgenaudienz noch so berauscht auftrat, dass selbst seine Klienten sich schämten. Ein anderer Vorgang war der Umstand, dass Cato seine 15 Jahre jüngere Frau Marcia, mit der er drei Kinder hatte, für eine neue Ehe an Hortensius weitergab, um sie dann sieben Jahre später nach dem Tode des Hortensius als reiche Witwe zurückzuholen. Und auch als Cato nach der Einäscherung seines geehrten Bruders die Asche nach Wertgegenständen durchsuchte, konnte dieser Vorgang nur mühsam in das Bild des republikanischen Tugendwächters eingefügt werden. Caesar ist kein Tugend- und Moralapostel, aber als die Konservativen von ihm die Trennung von seiner Frau erwarten, weil sie eine Tochter des Cinna ist, folgt er diesen Erwartungen nicht und als dann seine Frau Pompeia im Bona-Dea-Skandal den Anschein erweckt, sie habe mit Clodius unter einer Decke gesteckt, trennt sich Caesar von ihr. Im Grunde geht es hier um einen politischen und kulturellen Konflikt, in dem Caesar den literarischen Aufstand des konservativ republikanischen Bürgertums eindämmen möchte, ohne die Zusammenarbeit mit den kooperativen Kräften der römischen Elite zu gefährden.

Rom ist 45 v. Chr. kein Dorf mehr, auch kein Landstrich und auch nicht Italien, sondern das Zentrum eines frisch zusammengewürfelten Kultur- und Wirtschaftsraumes rund um das Mittelmeer. Die Verwaltung und Steuerung eines solchen Reiches mit all den politischen Verwerfungen und kulturellen und religiösen Konflikten erfordert mehr, als ein bürgerliches Parlament leisten kann, auch wenn der römische Senat in mancher Hinsicht einem kollegialen Königtum glich. Das Bürgertum ist typischer Weise egoistisch, und es ist stolz auf diese Haltung, weil nur im Wettbewerb der freien Egoismen sich das Gemeinwohl von ganz alleine vollzieht. Caesars politischer Weg zeigt, dass dem im Jahrhundert vor Christus nicht mehr der Fall ist. Es bedarf einer steuernden politischen Mitte. Die politische Leitlinie entlang der Caesar im ANTICATO vorgehen will, setzt auf Kompromiss und ein Programm der Milde und Barmherzigkeit. Damit sollen die kooperativen Kräfte der römischen Eliten mitgenommen, der Mythos Cato auf den Boden der (skurrilen) Alltäglichkeiten heruntergezogen werden. Cicero ist in diesem Spiel ein Mitzunehmender, Cato eine gefährliche Legende.

Caesar hat den Erfolg seines politischen Programms nicht mehr erlebt, weil hinter dem literarischen Aufstand sich eine faktische Verschwörung formierte. Nur ein Jahr nach dem ANTICATO wird er an den Iden des März von kompromisslosen Tugendwächtern der Republik im Senat gemeinschaftlich erstochen. Am Morgen vor der Sitzung soll die Totenmaske eines Ahnen von der Wand gefallen sein, aber Caesar übergeht die Warnungen seiner Frau. Gegen die Dolche der Herren Senatoren setzt er sich nicht zur Wehr. Er hat sich wohl die Toga über den Kopf geworfen und in das Mordkomplott ergeben. Aber Oktavian, sein Adoptivsohn, hat dann als Kaiser Augustus das Programm der Wiederherstellung der Republik umsetzen und so die kaiserliche Herrschaftsform stabilisieren können. Keine geringe Leistung, die im Westen fast 500 Jahre hielt, im Osten sogar fast 1500 Jahre. Und wenn wir das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in dieser Tradition sehen wollen, dann auch im Westen Europas sehr viel länger und nachhaltiger.

Neben der Organisation der Wirtschaft und der Sicherheit des Römischen Reiches geben die Caesaren noch in einem weiteren Punkt die Richtung vor. Die Frage der Religion spielt in der Endphase der römischen Republik und dem Aufbau des Kaiserreiches eine bedeutsame Rolle. Caesar selbst ist Pontifex Maximus und er hat religiöse Fragen nicht nur beachtet. Liest man seine Berichte vom Bürgerkrieg, dann spürt man an vielen Stellen die große Bedeutung, die er dem Fatum und dem Glück beimisst. Er ist ein Julier, der sich als Nachkomme des Ascanius und Aeneas sieht, und sich dem Schutz der Venus, seiner Gottesmutter, unterstellt weiß. Kaiser Augustus wird Caesar zum Gott (divus) erheben lassen, womit er selbst zum Gottes-Adoptivsohn wird. Und es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass einige der Hymnen aus der Kaiserverehrung in den Hymnen der jungen christlichen Gemeinden wieder auftauchen. Aus jüdischer Sicht ist die Gottessohnschaft der römischen Kaiser eine unvorstellbare Blasphemie. Aber die christliche Botschaft aus Jerusalem überbringt den Römern eine sonderbar vertraute Geschichte. Dort in Jerusalem hat Gott selbst seinen Sohn als König unter die Menschen geschickt, aber die Menschen haben ihn nicht erkannt und ans Kreuz geschlagen. Hinabgestiegen in das Reich des Todes ist dieser Königssohn, am dritten Tage von den Toten auferstanden und in den Himmel aufgestiegen, wo er zur Rechten Gottes thront, zu richten die Lebenden und die Toten. Paulus schreibt, dass diese Botschaft den Griechen eine Torheit und Juden ein Ärgernis war. Aber wie hörte sich das denn für römische Ohren an? Ein König, der gesandt ist, das Reich zu retten, aber von der politischen Elite seiner Zeit umgebracht wird. Man muss nur die Worte „Pharisäer“ gegen „tugendhafte Republikaner“ austauschen, um die Ähnlichkeit für römische Ohren herauszuhören. Der sich opfernde König: Das steht dem bürgerlichen Verständnis von guter Herrschaft gegenüber. Das ist letztlich das Bild vom guten Hirten, der mit seinem Stab keineswegs wehrlos ist, und bereit sein muss, sich für die ihm anvertraute Gemeinschaft einzusetzen, sich im Einsatz für das Gemeinwohl aufzehren zu lassen. Die bürgerliche Sicht von Herrschaft mag diesen sich einsetzenden und aufopfernden König nicht, er ist ihr eine Chiffre für totalitäre Herrschaft, auch weil der gute König die freie Entfaltung der bürgerlichen Egoismen behindert. Diese Kritik mag so lange gelten, wie das Bürgertum in der Lage ist, die Verwaltung und Steuerung ihrer eigenen Erfolge zu bewältigen. Was aber dann? Und was danach?

Im Streit von CATO und ANTICATO ist nichts wie es scheint. Die tugendhaften Republikaner sind unfähig und unwillig, die Probleme ihrer Zeit zu lösen. Lebemänner und Machtmenschen aber fördern den Glauben, um ihre eigene und Roms Herrschaft zu sichern. So wird das kaiserlich reorganisierte Rom zu dem Kulturraum, in dem das Christentum wächst, schließlich mit Konstantin dem Großen zur Staatsreligion wird und irgendwann danach auch den Titel des Pontifex Maximus erbt.

Deutschland steht mit der Krise Europas vor einer Wachstums- und Organisationskrise. Die bürgerlich republikanische Elite hat keine Vision von der Zukunft. „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“, sagt Jesaja. Ohne eine Stärkung der religiösen Grundlagen unserer Kultur werden die anstehenden Aufgaben nicht zu bewältigen sein. In solchen Phasen könnte die katholische Kirche Forderungen stellen, Wegezoll einfordern, einfach weil die Eliten Ruhe brauchen, um die anstehenden Aufgaben bewältigen zu können. Volker Beck hat es uns mit seiner „Ehe für alle“ vorgemacht: Im rechten Moment gefragt, und Simsalabim, schon geht der Wunsch in Erfüllung. Und diese Methode ist nicht machiavellistisch, sondern auch neutestamentarisch (Lukas 11): „5 Dann sagte er zu ihnen: Wenn einer von euch einen Freund hat und um Mitternacht zu ihm geht und sagt: Freund, leih mir drei Brote; 6 denn einer meiner Freunde, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen und ich habe ihm nichts anzubieten!, 7 wird dann der Mann drinnen antworten: Lass mich in Ruhe, die Tür ist schon verschlossen und meine Kinder schlafen bei mir; ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben? 8 Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht.“ Die Krise Europas und die Krise Deutschlands sind ein wirklich guter Moment für die katholische Kirche, Forderungen durchzusetzen, Forderungen, die uns schon lange am Herzen liegen. Und da ist ein Herz. Und da sind Forderungen. Oder?
elisabethvonthüringen
lepenseur-lepenseur.blogspot.ro/…/heute-ist-es-au…
P.S. ein Kommentarposter bei Youtube schrieb darunter:
Dies mag zwar befremdlich klingen, doch habe ich bei dieser Rede vor Augen, wie Cicero auf Angela Merkel und einige ihrer So-Treuen einredet. Gibt es noch jemanden, der die so erlebt? www.youtube.com/watch
elisabethvonthüringen
JAMAIKA-Spiele für das Volk!
<<Und jetzt wird es tricky … Wie erkläre ich dem Bürger, dass man jetzt eine Koalition eingeht, die dieser so nie gewählt hat? Und was für taktische Manöver vollzieht die Union erst, damit diese Partnerschaft überhaupt zu Stande kommt? Martin Schulz, Sie erinnern sich, dass war der Messias der SPD, der prophezeite „Die Kanzlerin wird alle Zugeständnisse machen, die …Mehr
JAMAIKA-Spiele für das Volk!

<<Und jetzt wird es tricky … Wie erkläre ich dem Bürger, dass man jetzt eine Koalition eingeht, die dieser so nie gewählt hat? Und was für taktische Manöver vollzieht die Union erst, damit diese Partnerschaft überhaupt zu Stande kommt? Martin Schulz, Sie erinnern sich, dass war der Messias der SPD, der prophezeite „Die Kanzlerin wird alle Zugeständnisse machen, die ihre Koalitionäre verlangen, Hauptsache sie regiert weiter“.<<
Theresia Katharina
@elisabethvonthüringen Leider fällt bei Frau Merkel nicht der Groschen und von der Wand ihres Regierungszimmers fällt auch nichts, außer der Herr greift ein!
elisabethvonthüringen
Vielleicht fällt ja auch in Merkls Regierungszimmer etwas von der Wand und niemand erkennt das Menetekel und warnt vor den Folgen... 🤨 🚬
www.tichyseinblick.de/…/jamaika-spiele-…
<<Am Morgen vor der Sitzung soll die Totenmaske eines Ahnen von der Wand gefallen sein, aber Caesar übergeht die Warnungen seiner Frau. Gegen die Dolche der Herren Senatoren setzt er sich nicht zur Wehr. Er hat sich …Mehr
Vielleicht fällt ja auch in Merkls Regierungszimmer etwas von der Wand und niemand erkennt das Menetekel und warnt vor den Folgen... 🤨 🚬
www.tichyseinblick.de/…/jamaika-spiele-…
<<Am Morgen vor der Sitzung soll die Totenmaske eines Ahnen von der Wand gefallen sein, aber Caesar übergeht die Warnungen seiner Frau. Gegen die Dolche der Herren Senatoren setzt er sich nicht zur Wehr. Er hat sich wohl die Toga über den Kopf geworfen und in das Mordkomplott ergeben.<<
elisabethvonthüringen
😲 🤨 <<Die Kirchen dienen sich dem politischen Islam als Handlanger an - sie unterstützen die Feinde der Integration...<<
www.welt.de/…/Abdel-Samad-war…
2 weitere Kommentare von elisabethvonthüringen
elisabethvonthüringen
@eiss ...aber die Kath. Kirche ist doch selber in der Krise, oder? Um Forderungen zu stellen, müsste doch "Einigkeit im (Hl.) Geist" herrschen...
Wenn ich lese: Marx fordert...Franziskus fordert...Schönborn fordert...etc...jeder fordert was anderes! Von "Bitte an den Vater" a la Jesus Christus (Joh 17) ist man doch Lichtjahre entfernt!
elisabethvonthüringen
Ha!! Das Gespräch im Hausgang!! 👍 🤗 👏