ein Leserbrief in der FAZ
Wer noch nicht abgefallen ist, der mag jetzt versucht sein, es zu tun: nicht vom Glauben, aber von dem an die Weisheit seines höchsten Repräsentanten. Der Papst möchte das Vaterunser neu übersetzen lassen. Denn die Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“ gefällt ihm nicht. Gott, hat er gerade mitgeteilt, führe nicht in Versuchung, das …Mehr
ein Leserbrief in der FAZ
Wer noch nicht abgefallen ist, der mag jetzt versucht sein, es zu tun: nicht vom Glauben, aber von dem an die Weisheit seines höchsten Repräsentanten. Der Papst möchte das Vaterunser neu übersetzen lassen. Denn die Bitte „Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen“ gefällt ihm nicht. Gott, hat er gerade mitgeteilt, führe nicht in Versuchung, das tue nur der Satan. Also sei es richtiger, Gott zu bitten: „Lass mich nicht in Versuchung geraten“. Sancta simplicitas, halten zu Gnaden. Was wäre denn der Unterschied zwischen „in Versuchung führen“ und „nicht in Versuchung geraten lassen“?
Jemand wandelt seiner irdischen Wege, und am Horizont steht eine Versuchung. Wer hat sie denn dahin gestellt? Also gut, der Satan. Und Gott führt den Menschen jetzt nicht dahin, sondern lässt es eben zu, dass er sich begehrlichen oder schwachen Herzens auf die Versuchung zubewegt. Einmal handelt Gott durch Handeln – „Bitte schön, da geht es lang“ –, das andere Mal durch Unterlassen, er sagt einfach nichts dazu. Das eine Mal wird Gott zugetraut, uns durch die Möglichkeit zum Bösen zu prüfen, das andere Mal wird an ihn appelliert, er möge Warnschilder aufstellen: Das Betreten dieser Privatstraße kostet eine Todsünde. Oder unser moralisches GPS ein bisschen stören, so dass wir an der Versuchung gar nicht vorbeikommen. Oder gar: das Böse entfernen, noch bevor wir in seine Nähe geraten.
Angesichts der Gott attestierten Allmacht und Allwissenheit, könnte er sich beim Unterlassen solcher Gefahrenabwehr aber jedenfalls nicht auf Ahnungslosigkeit, momentanes Abgelenktgewesensein oder ein Büroversagen herausreden. Denn wenn in der Lesart von Papst Franziskus nur der Satan in Versuchung führt, bleibt doch die ewige Kinderfrage unbeantwortet, wieso Gott dessen Handeln zulässt und ob es zuzulassen nicht dasselbe ist wie in Versuchung führen. Das Kopfzerbrechen der hochmittelalterlichen Nominalisten, die sich einen Gott vorstellen konnten, dessen Macht auch die zur Schöpfung einer zweifelhaften Welt samt Satan beinhaltet, ist dem Papst offenbar fremd.
Der eigentliche Unterschied seines innovativen Vorschlags zum tradierten Wort liegt denn auch nicht in größerem Gottvertrauen. Vielmehr in größerer Ahnungslosigkeit. Statt „uns“ soll es nun „mich“ heißen, und es soll so getan werden, als sei Gott gar nicht in der Lage, den Menschen in Versuchung zu führen. Das ist angesichts der Tatsache, dass er es schon einmal getan hat, etwas textfremd. Oder wie möchte Papst Franziskus die Geschichte mit dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse verstehen, von dessen Früchten zu essen Gott dem ersten Paar, Eva und Adam, jenem ersten „uns“, verbot? Lag in diesem Verbot keine Versuchung? Wer hat Abraham befohlen, seinen Sohn Isaak zu opfern? Auch der Satan?
Zeigt sich in jenen Urszenen, weil darin tatsächlich eine Versuchung lag, die Versuchung zur Freiheit, der wir auch erlegen sind, nicht eine gottes- und menschheitsgeschichtlich bedeutsame Eigenschaft der Welt? Ihre paradoxen Eigenschaften werden sich so wenig wie diejenigen Gottes wegübersetzen lassen. Man hört, er habe seinen Sohn geopfert. Müssen wir uns darauf einstellen, dass dies aus Rom demnächst genauso kommentiert wird, wie jetzt das In-Versuchung-Führen: „Ein Vater“ teilt der Papst mit, „mache so etwas nicht.“ Dieser schon.
FAZ (09.12.2017)