Kirchenrechtler fordert Änderung des kirchlichen Eherechts
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Der emeritierte Münsteraner Kirchenrechtler Klaus Lüdicke forderte am Freitag im Interview mit dem Chefredakteur der ‚Katholischen Nachrichten-Agentur‘ Ludwig Ring-Eifel ein Festhalten an der Unauflöslichkeit der Ehe, zugleich aber eine Neubewertung in Theologie und Kirchenrecht.
KNA: Herr Professor Lüdicke, seit wann ist die Ehe nach katholischem Verständnis unauflöslich?
Lüdicke: Die Kirche hat von früher Zeit an die Ehe, die im Herrn geschlossen ist, als eine Zusage auch vor Gott verstanden, die nicht einfach widerrufen werden kann. Der Umgang mit dem Scheitern der Ehe ist hingegen vielgestaltig. Aber es geht in die Richtung, die auch heute dogmatisch gelehrt wird: Dass es sich um ein vom Menschen nicht auflösbares, bindendes Sakrament handelt.
KNA: Woraus leitet die Kirche ihre Überzeugung her?
Lüdicke: Sie beruft sich auf Jesu Wort gegenüber den Pharisäern.
Diese fragten ihn, aus welchen Gründen der Mann der Frau einen Scheidungsbrief ausstellen darf. Jesus sagte darauf, dass Moses diese Praxis nur aufgrund der Herzenshärte der Menschen zugestanden habe. Der Schöpferwille Gottes sei aber ein anderer: Was Gott verbunden hat, das soll der Mensch nicht trennen. Auf dieser Grundlage hat die katholische Kirche im Laufe der Geschichte ihr Verständnis fortentwickelt. Andere Kirchen sind zumindest in der Praxis andere Wege gegangen.
KNA: Wie ist denn das Verständnis des Ehesakraments?
Lüdicke: Es ist eine Gnadenzusage Gottes, die unverbrüchlich ist.
Ein Sakrament kann nicht revidiert oder widerrufen werden.
KNA: Was ist dann unter einer Ehe-Annullierung zu verstehen?
Lüdicke: Gerade weil die Kirche die Ehe als unauflöslich ansieht, stellt sie hohe Anforderungen an ihr Zustandekommen. Während die Partner vor dem Standesbeamten nur erklären, verheiratet sein zu wollen, verlangt die Zusage gegenüber dem Traupriester, dass dieser Wille tatsächlich vorhanden ist. Bei der Annullierung geht es also um die Frage, ob zum Zeitpunkt der Eheschließung der Wille wirklich gegeben und inhaltlich ausreichend war und ob eventuell rechtliche Ehehindernisse vorlagen.
KNA: Welche Reformen wären möglich, ohne die sakramentalen Grundlagen der Ehe infrage zu stellen.
Lüdicke: Ich glaube nicht, dass eine Reform im Eheverständnis möglich oder sinnvoll wäre. Es geht eher um die Frage, wie geht die Kirche mit Menschen um, die gescheitert sind. Ob es für sie einen weiteren Weg in der Kirche geben kann, besonders wenn sie wieder eine neue Partnerschaft eingehen.
KNA: Papst Johannes Paul II. hat sie ermutigt, weiterhin teilzunehmen, auch wenn sie nicht mehr zur Eucharistie zugelassen sind.
Lüdicke: Er sagt dies in der Enzyklika Familiaris consortio.
Grundsätzlich sind sie natürlich weiterhin Mitglieder der Kirche und nicht exkommuniziert. Aber die Aufnahme eines eheähnlichen Verhältnisses deutet die Kirche als einen Selbstausschluss der Betroffenen von der Eucharistie. Weil die Eucharistie den Bund Christi mit der Kirche abbilde und die Ehe den Bund der Kirche mit Christi abbilde. Wenn man das eine desavouiert, kann man am anderen nicht mehr teilnehmen.
KNA: Wäre eine Angleichung des katholischen Rechts an die Barmherzigkeits-Praxis der Ostkirchen denkbar?
Lüdicke: Das wäre durchaus denkbar. Auch die Ostkirche sieht die Ehe als unauflöslich an. Aber die Akzeptanz einer Zweitehe nach dem Scheitern der ersten Ehe heißt ja im Grund nur, dass die Kirche weiter mit dem Menschen mitgeht. Johannes Paul II. sah den Ausweg in einer Bruder-Schwester-Beziehung, bei der die neuen Partner auf Sexualität miteinander verzichten. Damit wäre die Teilnahme auch der Eucharistie wieder möglich. Wenn dies der einzige entscheidende Punkt ist, dann muss die Kirche hierüber neu nachdenken.
KNA: Wo sehen Sie dann den Reformbedarf?
Lüdicke: Nicht im Verständnis der Ehe und in der Frage ihrer Unauflöslichkeit, wohl aber im Umgang mit der neuen Lebensbeziehung.
Kann man diese auch theologisch begründet als schwere Sünde, als bewusste Absage an Gott und als Selbstausschluss von den Sakramenten bezeichnen? Ich halte das für höchst fraglich.
KNA: Wie wäre eine Lösung vorstellbar?
Lüdicke: Die Kirche kann die neue Beziehung positiv begleiten, zumal in ihr die christlichen Ehewerte oft ernsthafter gelebt werden: der Wille zur Dauer, die Treue zueinander, die Offenheit für die Familie und das beiderseitige Wohl.
KNA: Auf welcher Ebene könnte eine solche Veränderung beschlossen werden?
Lüdicke: Das könnte im Einverständnis zwischen Papst und Bischöfen geschehen, aber auch durch ein Pastoralschreiben, in dem der Papst einen neuen Umgang mit Gescheiterten formuliert.
KNA: Wie wäre aber die Resonanz in der Weltkirche?
Lüdicke: Viele Bischöfe haben sich im Sinne der jetzigen Lehre festgelegt. Aber für andere Bischöfe wäre das eine Befreiung. Sie spüren die Diskrepanz zum Empfinden ihrer Gläubigen immer deutlicher, wie das Beispiel der drei oberrheinischen Bischöfe Anfang der 90er Jahre zeigt.
KNA: Wäre eine pastorale Handhabung der Annullierungs-Praxis ein gangbarer Ausweg?
Lüdicke: Nein. Bei der Annullierung geht es um die Rechtsfrage: Ist die Ehe gültig oder nicht. In der Pastoral geht es um Vergebung, Aufarbeitung, Neuanfang.
KNA: Können Seelsorger «ein Auge zudrücken» und Wiederverheiratete zur Kommunion zulassen?
Lüdicke: In der Realität ist das der Normalfall. Wenn die Kirche bereit wäre, diese Praxis amtlich zu akzeptieren, wäre das Problem entschärft.
KNA: Wäre dies aber geschichtlich nicht ein grundlegender Umbruch?
Lüdicke: Nein, allenfalls in Bezug auf die jüngere und römisch-katholische Geschichte. Vielmehr würde die Werteordnung in der Kirche wieder zurechtgerückt, wenn man bedenkt, dass die Verbundenheit des Menschen mit Gott in der Eucharistie ein weit höherer Wert ist als die Frage, ob sein Leben in Punkto Sexualmoral hundertprozentig in Ordnung ist.