Papst-Interview: Konzil brachte enorme Früchte, Liturgiereform ist unumkehrbar
An drei Terminen gab Papst Franziskus dem Chefredakteur der italienischen Jesuiten-Zeitschrift „La Civiltà Cattolica", Pater Antonio Spadaro, ein 16seitiges Interview. Auf Deutsch erschien der Text bei „Stimmen der Zeit“. Franziskus nennt Spadaro vor dem Interview zwei umstrittene Jesuiten - Henri de Lubac SJ und Michel de Certeau SJ – als von ihm besonders geschätzte zeitgenössischen französischen Denker.
Als erste Antwort gibt Franziskus eine Selbstdefinition: „Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart, kein literarisches Genus. Ich bin ein Sünder.“ Zudem definiert er sich als „ein wenig gewieft, ich verstehe mich zu bewegen, aber es stimmt, dass ich auch arglos bin“.
Über Veränderungen und Reformen erklärt Franziskus, dass sie Zeit benötigten: „Ich glaube, dass man immer genügend Zeit braucht, um die Grundlagen für eine echte, wirksame Veränderung zu legen.“ Entscheidungen, die improvisiert getroffen werden, misstraut der Papst. Die erste Sache, die einem in den Sinn komme, sei gewöhnlich falsch. Man müsse abwägen.
Zu seiner Zeit als Provinzial sagt der Papst, dass er schwierige Entscheidungen zu treffen hatte: „Wenn ich einer Person eine Sache anvertraue, habe ich totales Vertrauen zu dieser Person. Sie muss wirklich einen sehr schweren Fehler begehen, damit ich sie aufgebe.“ Er habe wegen einer autoritären und schnellen Art, Entscheidungen zu treffen, ernste Probleme erlebt und „die Beschuldigung, ultrakonservativ zu sein“. Er sei „nie einer von den ,Rechten‘ gewesen“.
Auf das Thema Homosexualität kommt der Papst von sich aus zu sprechen: „Wir müssen das Evangelium auf allen Straßen verkünden, die frohe Nachricht vom Reich Gottes verkünden und - auch mit unserer Verkündigung - jede Form der Krankheit und Wunde pflegen. In Buenos Aires habe ich Briefe von homosexuellen Personen erhalten, die ‚soziale Wunden‘ sind, denn sie fühlten sich immer von der Kirche verurteilt. Aber das will die Kirche nicht. Auf dem Rückflug von Rio de Janeiro habe ich gesagt, wenn eine homosexuelle Person guten Willen hat und Gott sucht, dann bin ich keiner, der sie verurteilt. Ich habe das gesagt, was der Katechismus erklärt. Die Religion hat das Recht, die eigene Überzeugung im Dienst am Menschen auszudrücken, aber Gott hat sie in der Schöpfung frei gemacht: Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben. Einmal hat mich jemand provozierend gefragt, ob ich Homosexualität billige. Ich habe ihm mit einer anderen Frage geantwortet: ‚Sag mir: Wenn Gott eine homosexuelle Person sieht, schaut er die Tatsache mit Liebe an oder verurteilt er sie und weist sie zurück?‘ Man muss immer die Person anschauen.“
Den Beichtstuhl nennt der Papst nicht ein „Folterinstrument, sondern der Ort der Barmherzigkeit“: „Ich denke auch an die Situation einer Frau, deren Ehe gescheitert ist, in der sie auch abgetrieben hat. Jetzt ist sie wieder verheiratet, ist zufrieden und hat fünf Kinder. Die Abtreibung belastet sie und sie bereut wirklich. Sie will als Christin weiter gehen. Was macht der Beichtvater?“
Der Papst will sich nicht nur mit der Frage um die Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit der Verhütungsmethoden: „Ich habe nicht viel über diese Sachen gesprochen. Das wurde mir vorgeworfen. Aber wenn man davon spricht, muss man den Kontext beachten. Man kennt ja übrigens die Ansichten der Kirche, und ich bin ein Sohn der Kirche. Aber man muss nicht endlos davon sprechen.“
Zur römischen Kurie sagt der Papst, dass sie in Einzelfällen Gefahr laufen „Zensurstellen zu werden“: „Es ist eindrucksvoll, die Anklagen wegen Mangel an Rechtgläubigkeit, die in Rom eintreffen, zu sehen. Ich meine, dass diese von den Bischofskonferenzen untersucht werden müssen, die ihrerseits eine Hilfe aus Rom bekommen können. Die Fälle werden besser an Ort und Stelle behandelt. Die römischen Dikasterien sind Vermittler, sie sind nicht autonom.“
Zur Rolle der Frau in der Kirche sagt er: „Der weibliche Genius ist nötig an den Stellen, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden. Die Herausforderung heute ist: reflektieren über den spezifischen Platz der Frau gerade auch dort, wo in den verschiedenen Bereichen der Kirche Autorität ausgeübt wird.“
Zum Zweiten Vatikan erklärt Franziskus:
„Es hat eine Bewegung der Erneuerung ausgelöst, die aus dem Evangelium selbst kommt. Die Früchte waren enorm. Es reicht, an die Liturgie zu erinnern. Die Arbeit der Liturgiereform war ein Dienst am Volk, wie eine neue Lektüre des Evangeliums, ausgehend von einer konkreten historischen Situation. Ja, da gibt es Linien, die auf eine Hermeneutik der Kontinuität und eine der Diskontinuität hinweisen. Aber eines ist klar: Die Dynamik der aktualisierten Lektüre des Evangeliums von heute, die dem Konzil eigen ist, ist absolut unumkehrbar. Dann gibt’s da spezielle Fragen wie die Liturgie nach dem Alten Ritus. Ich denke, dass die Entscheidung von Papst Benedikt weise gewesen ist. Sie war verbunden mit der Hilfe von einigen Personen, die diese besondere Sensibilität haben. Ich finde aber das Risiko einer Ideologisierung des ‚Ordo Vetus‘, seine Instrumentalisierung, sehr gefährlich.“
Und später im Interview: „Wenn der Christ ein Restaurierer ist, ein Legalist, wenn er alles klar und sicher haben will, dann findet er nichts. Die Tradition und die Erinnerung an die Vergangenheit müssen uns zu dem Mut verhelfen, neue Räume für Gott zu öffnen. Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ‚Sicherheit‘ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärts gewandte Vision. Auf diese Weise wird der Glaube eine Ideologie unter vielen.“
Als erste Antwort gibt Franziskus eine Selbstdefinition: „Ich bin ein Sünder. Das ist die richtigste Definition. Und es ist keine Redensart, kein literarisches Genus. Ich bin ein Sünder.“ Zudem definiert er sich als „ein wenig gewieft, ich verstehe mich zu bewegen, aber es stimmt, dass ich auch arglos bin“.
Über Veränderungen und Reformen erklärt Franziskus, dass sie Zeit benötigten: „Ich glaube, dass man immer genügend Zeit braucht, um die Grundlagen für eine echte, wirksame Veränderung zu legen.“ Entscheidungen, die improvisiert getroffen werden, misstraut der Papst. Die erste Sache, die einem in den Sinn komme, sei gewöhnlich falsch. Man müsse abwägen.
Zu seiner Zeit als Provinzial sagt der Papst, dass er schwierige Entscheidungen zu treffen hatte: „Wenn ich einer Person eine Sache anvertraue, habe ich totales Vertrauen zu dieser Person. Sie muss wirklich einen sehr schweren Fehler begehen, damit ich sie aufgebe.“ Er habe wegen einer autoritären und schnellen Art, Entscheidungen zu treffen, ernste Probleme erlebt und „die Beschuldigung, ultrakonservativ zu sein“. Er sei „nie einer von den ,Rechten‘ gewesen“.
Auf das Thema Homosexualität kommt der Papst von sich aus zu sprechen: „Wir müssen das Evangelium auf allen Straßen verkünden, die frohe Nachricht vom Reich Gottes verkünden und - auch mit unserer Verkündigung - jede Form der Krankheit und Wunde pflegen. In Buenos Aires habe ich Briefe von homosexuellen Personen erhalten, die ‚soziale Wunden‘ sind, denn sie fühlten sich immer von der Kirche verurteilt. Aber das will die Kirche nicht. Auf dem Rückflug von Rio de Janeiro habe ich gesagt, wenn eine homosexuelle Person guten Willen hat und Gott sucht, dann bin ich keiner, der sie verurteilt. Ich habe das gesagt, was der Katechismus erklärt. Die Religion hat das Recht, die eigene Überzeugung im Dienst am Menschen auszudrücken, aber Gott hat sie in der Schöpfung frei gemacht: Es darf keine spirituelle Einmischung in das persönliche Leben geben. Einmal hat mich jemand provozierend gefragt, ob ich Homosexualität billige. Ich habe ihm mit einer anderen Frage geantwortet: ‚Sag mir: Wenn Gott eine homosexuelle Person sieht, schaut er die Tatsache mit Liebe an oder verurteilt er sie und weist sie zurück?‘ Man muss immer die Person anschauen.“
Den Beichtstuhl nennt der Papst nicht ein „Folterinstrument, sondern der Ort der Barmherzigkeit“: „Ich denke auch an die Situation einer Frau, deren Ehe gescheitert ist, in der sie auch abgetrieben hat. Jetzt ist sie wieder verheiratet, ist zufrieden und hat fünf Kinder. Die Abtreibung belastet sie und sie bereut wirklich. Sie will als Christin weiter gehen. Was macht der Beichtvater?“
Der Papst will sich nicht nur mit der Frage um die Abtreibung befassen, mit homosexuellen Ehen, mit der Verhütungsmethoden: „Ich habe nicht viel über diese Sachen gesprochen. Das wurde mir vorgeworfen. Aber wenn man davon spricht, muss man den Kontext beachten. Man kennt ja übrigens die Ansichten der Kirche, und ich bin ein Sohn der Kirche. Aber man muss nicht endlos davon sprechen.“
Zur römischen Kurie sagt der Papst, dass sie in Einzelfällen Gefahr laufen „Zensurstellen zu werden“: „Es ist eindrucksvoll, die Anklagen wegen Mangel an Rechtgläubigkeit, die in Rom eintreffen, zu sehen. Ich meine, dass diese von den Bischofskonferenzen untersucht werden müssen, die ihrerseits eine Hilfe aus Rom bekommen können. Die Fälle werden besser an Ort und Stelle behandelt. Die römischen Dikasterien sind Vermittler, sie sind nicht autonom.“
Zur Rolle der Frau in der Kirche sagt er: „Der weibliche Genius ist nötig an den Stellen, wo wichtige Entscheidungen getroffen werden. Die Herausforderung heute ist: reflektieren über den spezifischen Platz der Frau gerade auch dort, wo in den verschiedenen Bereichen der Kirche Autorität ausgeübt wird.“
Zum Zweiten Vatikan erklärt Franziskus:
„Es hat eine Bewegung der Erneuerung ausgelöst, die aus dem Evangelium selbst kommt. Die Früchte waren enorm. Es reicht, an die Liturgie zu erinnern. Die Arbeit der Liturgiereform war ein Dienst am Volk, wie eine neue Lektüre des Evangeliums, ausgehend von einer konkreten historischen Situation. Ja, da gibt es Linien, die auf eine Hermeneutik der Kontinuität und eine der Diskontinuität hinweisen. Aber eines ist klar: Die Dynamik der aktualisierten Lektüre des Evangeliums von heute, die dem Konzil eigen ist, ist absolut unumkehrbar. Dann gibt’s da spezielle Fragen wie die Liturgie nach dem Alten Ritus. Ich denke, dass die Entscheidung von Papst Benedikt weise gewesen ist. Sie war verbunden mit der Hilfe von einigen Personen, die diese besondere Sensibilität haben. Ich finde aber das Risiko einer Ideologisierung des ‚Ordo Vetus‘, seine Instrumentalisierung, sehr gefährlich.“
Und später im Interview: „Wenn der Christ ein Restaurierer ist, ein Legalist, wenn er alles klar und sicher haben will, dann findet er nichts. Die Tradition und die Erinnerung an die Vergangenheit müssen uns zu dem Mut verhelfen, neue Räume für Gott zu öffnen. Wer heute immer disziplinäre Lösungen sucht, wer in übertriebener Weise die ‚Sicherheit‘ in der Lehre sucht, wer verbissen die verlorene Vergangenheit sucht, hat eine statische und rückwärts gewandte Vision. Auf diese Weise wird der Glaube eine Ideologie unter vielen.“