Labre
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TSUNAMI DER LIEBE GOTTES Predigt zum Dreifaltigkeitsfest von Kaplan A. Betschart

Es gibt Menschen und dementsprechend auch Bücher und Artikel, die den Eindruck erwecken, als wüssten sie sehr genau Bescheid über Gott. Tun wir das wirklich, so genau Bescheid wissen über Gott? -
Ein Rabbi sagte einmal zu seinem Schüler, so erzählt eine jüdische Geschichte, als er zu ihm ins Zimmer trat: “Sage mir, was ist das: Gott?” - Der Schüler schwieg. Der Rabbi fragte ein zweites und ein drittes Mal. - “Warum schweigst du?” - “Weil ich es nicht weiss.” - Darauf der Rabbi: “Weiss ich es denn? Nur eines weiss ich: Er ist deutlich da und ausser Ihm ist nichts deutlich da, und das ist Er.”
Die grossen Gottesgelehrten und Heiligen wie Augustinus, Bonaventura oder Thomas von Aquin haben alle den Kopf gesenkt bei der Frage: “Wer ist das - Gott?”
Das grösste und geschichtlich einflussreichste Werk des Mittelalters, die sogenannte “Summa theologiae” des hl. Thomas von Aquin, ist unvollendet geblieben, weil Thomas am 6. Dezember 1273, drei Monate vor seinem Tod, aus der Feier der Hl. Messe zurückkehrte, die Schreibsachen wegräumte und seinem Sekretär erklärte:

“Ich kann nicht mehr. Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh im Vergleich mit dem, was ich geschaut habe.”

Nach dem hl. Thomas ist das Äusserste menschlichen Erkennens zu wissen, dass wir Gott nicht zu erfassen vermögen, Ihn mit unserem Denken nicht in den Griff bekommen. Er sagt:

“Wir können nicht wissen, was Gott ist, sondern nur, was Er nicht ist.”

Dem hl. Thomas von Aquin möchte ich keinesfalls widersprechen, und das folgende Zitat aus der Heilige Schrift, das uns sagt, wer Gott ist, steht auch nicht in einem wirklichem Gegensatz zum heiligen Thomas. Das Zitat lautet - es stammt vom heiligen Apostel und Evangelisten Johannes -:

“GOTT IST DIE LIEBE” (1 Joh 4,8).

Weshalb widerspricht diese Aussage des heiligen Johannes nicht jener des heiligen Thomas? Ganz einfach deshalb, weil diese Aussage unser Verstehen und Begreifen unendlich übersteigt. Sie spricht das Wesen Gottes aus. Von Gott können wir im eigentlichen Sinn nicht sagen, dass Er liebt, sondern eben, das Er die Liebe selbst ist. Wenn diese Aussage auch leicht über unsere Lippen geht, so sind das dürre Worte und Begriffe, die uns in keiner Weise, nicht einmal annähernd die Unendlichkeit und Grösse der Liebe Gottes verstehen lassen. Und insofern hat der heilige Thomas von Aquin recht, dass wir nicht wissen können, was Gott ist, sondern nur, was Er nicht ist.
Wir haben gestern im Introitus der Hl. Messe - Quatembersamstag in der Pfingstwoche - das wunderbare Wort des heiligen Paulus in seinem Brief an die Römer gehört:

“Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist” (Röm 5,5).

Dieses Wort führt uns zum heutigen Fest der Allerheiligsten Dreifaltigkeit. Wo der Heilige Geist ist, da sind auch Vater und Sohn gegenwärtig. Ein Wort des Heilandes weist darauf hin:

“Ich will den Vater bitten, und Er wird euch einen anderen Beistand geben, dass er bei euch bleibt in Ewigkeit, den Geist der Wahrheit” (Joh 14,15).

Also:

“Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist” (Röm 5,5).

Das ist eine wunderbare, eine unsagbare schöne Wahrheit, die der Himmel uns schenkt, ein Edelstein unseres katholischen Glaubens. Geschehen ist dies beim Empfang des heiligen Sakramentes der Taufe. Dieses Eingiessen besagt, dass uns die Liebe Gottes nicht tröpfchenweise gegeben wurde, sondern dass wir sozusagen von einem Tsunami der göttliche Liebe überflutet wurden.
Was bedeutet das für uns? - Das bedeutet, dass wir Gott antworten sollen - und zwar mit der grösstmöglichen Liebe, deren wir fähig sind. Mit der Heiligen Schrift, mit den Kirchenvätern und mit allen heiligen Kirchenlehrern, also mit der ganzen katholischen Tradition können wir sagen: die Vollkommenheit unseres christlichen Lebens besteht vor allem in der Liebe, und zwar in der tätigen, nicht in der gefühlten Liebe, die uns wirklich mit Gott vereinigt - sowohl in geistlicher Trockenheit als auch in Tröstungen. Das Kennzeichen der Echtheit der Liebe besteht darin, dass sie sich fruchtbar erweist in jeder Art von guten Werken.
Die göttliche Liebe muss also unbedingt den ersten Platz in unserer Seele einnehmen vor allem anderen. Eine grosse und starke Gottesliebe wird all unsere geistigen und sittlichen Kräfte vervielfachen und sie in den Dienst Gottes und des Nächsten stellen. Die Liebe der Wertschätzung, des Wohlwollens, die wir Gott gegenüber haben müssen, wird auf diese Weise stärker und muss danach streben, immer vollkommener zu werden.
Eine solche Liebe zu Gott schliesst alles aus, was der Liebe zu IHM entgegengesetzt ist, nämlich die Todsünde; sie schliesst auch alles das aus, was unsere Liebe hindert, sich gänzlich Gott zuzuwenden. So streben jene echten frommen Gläubigen, die Anfangende und Fortgeschrittene genannt werden, zu einer Vereinigung mit Gott, wie sie den Heiligen eigen ist.
Nach diesen vom hl. Thomas aufgestellten Grundsätzen schliesst die Vollkommenheit der Liebe bei den Heiligen nicht nur die Todsünde und die vollkommen überlegten lässlichen Sünden aus, sondern auch die freiwilligen Unvollkommenheiten, z. B. einen Mangel an Hochherzigkeit im Dienste Gottes und die Gewohnheit, in unvollkommener, lässiger Weise zu handeln und die Sakramente mit wenig Eifer zu empfangen. Wer eine Liebe gleich fünf Talenten hat, und handelt, als hätte er nur zwei, vollbringt zwar noch verdienstliche, wenn auch nur schwache Akte der Liebe, aber diese Akte der Liebe erlangen nicht sogleich die Vermehrung der Liebe, die sie verdient haben, sie entsprechen nicht den Heiligen, die immer schnelleren Schrittes zu Gott gehen: denn je mehr die Seele sich Gott nähert, umso mehr wird sie durch Ihn angezogen.
Wie der hl. Thomas bemerkt, erstreckt sich bei den heiligmässigen Gläubigen die Nächstenliebe, dieses grosse Zeichen der Echtheit unserer Gottesliebe, nicht nur auf alle Menschen im allgemeinen, sondern bei sich bietender Gelegenheit auf jeden von denen, mit denen sie irgendwie in Beziehung stehen, und zwar nicht nur auf die Freunde, sondern auch auf die Fremden und selbst auf die Feinde. Solch brüderliche Liebe ist eine intensive Liebe, die bis zum Opfer ihrer äusseren Güter und selbst bis zum Opfer des Lebens für das Heil der Seelen geht. Der Heiland uns gesagt hat:

“Liebet einander, so wie Ich euch geliebt habe” (Joh 15,12).

Seine Liebe war so gross, dass sie den Tod am Kreuz für uns auf sich nahm.
Von der Gottesliebe zutiefst erfasst waren die Aposteln nach dem Pfingstfest. Sie waren völlig umgewandelt. In der Apostelgeschichte heisst es von ihnen:

“Sei waren froh, für würdig gehalten zu werden, um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden” (5,41).

Dies liess auch den hl. Paulus sprechen:

“Überaus gern will ich Opfer bringen, ja mich selbst opfern für eure Seelen” (2 Kor 12,15).

Dazu braucht es eine ernste Arbeit an sich selbst, einen wahren Kampf, den Geist der Selbstverleugnung oder des Verzichtes, damit unser Streben nicht mehr zu den Dingen der Erde hinab steige und nicht auf uns selbst in egoistischer Weise zurückkomme, sondern sich immer reiner und stärker zu Gott erhebe. Dazu ist Gebet notwendig, Innerlichkeit, eine grosse Gelehrigkeit gegenüber dem Hl. Geist und hochherziges Annehmen des Kreuzes, das uns reinigt. Sobald dann das Leben der Seele nicht mehr hinabsteigt in die Niederungen dieser Welt, steigt es zu Gott empor. Es kann in dieser Welt nicht halt machen. Sein Gesetz ist wie bei der Flamme, ihrem Sinnbild: nicht hinab, sondern hinauf streben. Die Liebe der wahren Frommen auf Erden besitzt noch nicht die absolute Beständigkeit der Liebe des Himmels, aber sie ist doch bewundernswert eifrig, in einer fast unaufhörlichen Betätigung. Die Nachfolge Christi hat es wunderbar ausgedrückt:

“Nichts ist süsser als die Liebe, nichts stärker, nichts erhabener, nichts umfassender, nichts lieblicher; denn die Liebe ist aus Gott geboren und nur in Gott, über allem Geschaffenen, vermag sie zu ruhen.
Der Liebende fliegt, läuft und freut sich; er ist frei und wird durch nichts gehalten. Er gibt alles für alles und besitzt alles in allem; denn er ruht in dem Einen Höchsten, der über allem ist und aus dem alles Gute strömt und hervorgeht” (3. Buch, 5. Kap.).


Das ist wahrhaft das Leben der Heiligen. Wir alle sind dazu berufen; denn alle sind wir zum Leben im Himmel berufen, wo es nur noch Heilige geben wird. Um dorthin zu gelangen, ist es wichtig, alle Tätigkeiten unseres täglichen Lebens zu heiligen und uns daran zu erinnern: für die täglichen Ereignisse, die angenehmen und unangenehmen, die vorhergesehenen und unerwarteten, gibt es entsprechende Gnaden, die uns von Minute zu Minute gewährt werden, damit wir aus diesen täglichen Vorkommnissen den besten geistlichen Nutzen ziehen. Wenn wir daran denken, werden wir diese Ereignisse nicht mehr ausschliesslich vom Gesichtspunkt des Sinnenlebens oder von dem unserer mehr oder weniger durch unsere Eigenliebe irregeführten Vernunft betrachten, sonder n vom Gesichtspunkt des übernatürlichen Glaubens. werden diese täglichen Ereignisse, angenehme und schmerzliche, wie Lehrstunden des Heilandes sein, die praktische Anwendung der Lehre des Evangeliums. Allmählich wird eine fast ununterbrochene Unterhaltung zwischen Ihm und uns zustande kommen: welches das wahre innerliche Leben ist, eine Art Anfang des ewigen Lebens.

Den Abschluss dieser Gedanken möge ein kleines, wunderschönes Morgengebet bilden, dessen Verfasser nicht genannt ist. Es lautet:

“Herr Jesus, im Schweigen dieses anbrechenden Morgens komme ich zu Dir und bitte Dich mit Demut und Vertrauen um Deinen Frieden, Deine Weisheit, Deine Kraft. Gib, dass ich heute die Welt betrachte mit Augen, die voller Liebe sind.
Lass mich begreifen, dass alle Herrlichkeit der Kirche aus Deinem Kreuz als dessen Quelle entspringt.
Lass mich meinen Nächsten als den Menschen empfangen, den Du durch mich lieben willst.
Schenke mir die Bereitschaft, ihm mit Hingabe zu dienen und alles Gute, das Du in ihn hineingelegt hast, zu entfalten.
Meine Worte so llen Sanftmut ausstrahlen und mein ganzes Verhalten soll Frieden stiften.
Nur jene Gedanken, die Segen verbreiten, sollen in meinem Geiste haften bleiben.
Verschliesse meine Ohren vor jedem übelwollenden Wort und jeder böswilligen Kritik. Möge meine Zunge nur dazu dienen, das Gute hervorzuheben.
Vor allem bewirke, o Herr, dass ich so voller Frohmut und Wohlwollen bin, dass alle, die mir begegnen, sowohl Deine Gegenwart als auch Deine Liebe spüren. Bekleide mich mit dem Glanz Deiner Güte und Deiner Schönheit, damit ich Dich im Verlaufe dieses Tages offenbare.”


Quellenhinweis:

- Garrigou-Lagrange R. OP, Des Christen Weg zu Gott, Bonn 2012.

- Bild: Dreifaltigkeit von Andrei Rubljow
Heilwasser
Die unmittelbare, intuitive Erkenntnis des göttlichen Wesens :
Dogma--->3. Gottes Wesen ist für den Menschen unbegreiflich.
Heilwasser
a) Warum sich beide Sätze (Gott ist die Liebe; und der von St. Thomas) nicht widersprechen:
Weil es nie nur nach dem Buchstaben geht, sondern immer nach dem Sinn einer Aussage,
wobei der korrekt wiedergegebene Buchstabe Grundlage ist. Der Buchstabe ist also
Voraussetzung, aber nicht alles. Die Heiligen beweisen dies zu Hauf. Denn es gibt auch
emotionale Rede, bildliche Rede, gleichnishafte Rede …Mehr
a) Warum sich beide Sätze (Gott ist die Liebe; und der von St. Thomas) nicht widersprechen:
Weil es nie nur nach dem Buchstaben geht, sondern immer nach dem Sinn einer Aussage,
wobei der korrekt wiedergegebene Buchstabe Grundlage ist. Der Buchstabe ist also
Voraussetzung, aber nicht alles. Die Heiligen beweisen dies zu Hauf. Denn es gibt auch
emotionale Rede, bildliche Rede, gleichnishafte Rede ... Jesus tut dies selber oft. Parade-
Beispiel: "Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert." Wie, Er
ist doch der Friedenskönig ???? ---->Also kommt es auf den Sinn der Aussage an, nicht
lediglich auf den Buchstaben.

Wenn es also nur nach dem Buchstaben ginge, wäre es ein Widerspruch, aber das
kann nicht sein, weil sich der Heilige Geist, der durch die Hl. Schrift und durch Heilige
spricht, nicht widersprechen kann. Es geziemt sich im heiligen Bereich alles in der
Einheit zu lesen. Denn das ist Liebe. Widerspruchsbehauptungen schaffen Unfrieden.

b) Da unser Herr und Gott vieles über sich selbst offenbart hat, ist es zulässig,
über IHN vieles zu sagen. Das ist offenbartes Wissen für uns zur Belehrung.
Das heißt dann noch nicht, dass wir anhand dieses für uns angepasste und
tragbare Wissen all das Offenbarte innerlich vollkommen begreifen könnten.
Denn das könnten wir nur, wenn wir IHN, den Allmächtigen, umgreifen könnten.
Aber das können wir nie. Wir werden immer staunen über seine Größe. Schon
das Wort "Größe" ist eigentlich menschlich, weil man es noch materiell begreifen
könnte. Es ist eigentlich ein unzureichender Ausdruck, aber in unserer Sprache nicht
anders möglich. Dieses endlose, ewige Staunen über die Größe, Liebe, Heiligkeit Gottes
bildet die Glückseligkeit des Himmels. Wenn wir kleine Kleinlinge IHN voll begreifen
könnten, wäre Er nicht unendlich, denn eine begrenzte
Menschlichkeit kann nur begrenzt erfassen. Das Unendliche bleibt letztlich unfassbar,
macht aber staunend und bildet so die Glückseligkeit.