NACHDENKEN ÜBER ANSTÖSSIGE WÖRTER, Z.B. "FROMM"
Haben Sie sich auch schon überlegt, warum es uns so schwer fällt, gewisse in die Jahrhunderte gekomene Wörter in den Mund zu nehmen? Wörter wie "tugendhaft", oder "fromm", "sittsam", "keusch", "gottsfürchtig" oder gar "dogmatisch". Gewiss, manchmal werden solche Begriffe noch verwendet, dann aber mit einem doch ziemlich süffisanten Unterton.
Woher dieser Unterton wohl kommen mag, wenn etwa gesagt wird: "Das ist mir eine schöne tugendhafte Dame"? Da kann sich die Zuhörerschaft ziemlich sicher sein, dass die Erwähnte so ziemlich das Gegenteil davon ist.
Jemandem das Etikett "fromm" anzuhängen ist ganz klar ein Codewort für "übertrieben religiös", "frömmlerisch" bis "bigott", von dem sich der Etikettierende gleichzeitig auch distanziert.
Das Phänomen der Umkehrung des emotionalen und moralischen Kontexts eines Begriffs ist nichts Neues, stammen doch die meisten Kraftausdrücke und Schimpfwörter aus einem sakralen und intimen Kontext.
Müssen wir also für positive Werte neue Begriffe erschaffen, weil es die alten nicht mehr tun, angestaubt und abgebraucht sind? Das geschieht auch schon längst: cool, sexy, geil, abgefahren, nachhaltig, CO2-neutral, umweltschonend, vegan, divers, woke und gendergerecht haben längst den Olymp des neuen allgemeinen Moralkodex' erklommen, auch wenn noch Rückzugsgefechte stattfinden.
Aber es gibt da eine verfemte Gesellschaft, welche mit Vehemenz an überholt geglaubten Begrifflichkeiten in ihrem Kontext festhält, die katholische Kirche. Sie hat es schon immer getan; gemeint ist nicht jene kirchliche Konstruktion mit dem Etikett "synodaler Katholizismus" und auch nicht "Maria 2.0".
Gemeint ist vielmehr ein weltumspannendes Netzwerk, in dem sich Kleriker wie Laien noch immer auf Katechismen, auf Schriften von Kirchenvätern und Kirchenlehrern berufen, und vor allem auf die Evangelien und Apostelbriefe, welche sie nach wie vor als massgebend und autoritativ halten. Es sind Gemeinschaften, in denen Begriffe wie "Glaubenstradition", "Sakramentenpraxis", "Beichtspiegel" oder "Gnadenstand" zeitlos positiv besetzt sind, weil sie gedanklich aus einem Pool an überlieferten Werten schöpfen, mit dem man sich auch heute identifizieren kann und soll.
Es handelt sich um eine bestimmte Spezies Mensch, die beispielsweise einen der sieben Briefe des Heiligen Ignatius von Antiochien zur Hand nimmt und ihn so lesen kann, als ob man soeben eine Message von einem lieben Freund erhalten hat, der ihm Wichtiges mitzuteilen hat:
Bibliothek der Kirchenväter
Das funktioniert natürlich nur bei einer Glaubensvorstellung, einer Wertigkeit und einer Begrifflichkeit, die über die Zeiten hin konstant bleibt. Wenn also im Binnenraum der Kirche der Begriff "fromm" noch immer positiv besetzt ist, dann deshalb, weil er dort noch in seinem ethymologischen Bedeutungsumfeld eingebettet ist, quasi als Referenzgrösse oder ethisch-moralischer Urmeter.
Zum Begriff "fromm":
fromm Adj. ‘von einer religiösen Überzeugung durchdrungen, gottergeben, sanftmütig’ (vgl. lammfromm). Das Adjektiv entsteht in mittelhochdeutscher Zeit, ausgehend vom Gebrauch eines Substantivs althochdeutsch fruma ‘Nutzen, Wohl, Hilfsmittel’ (8. Jh.), mittelhochdeutsch vrum(e), vrome, heute nur noch in der als altertümlich empfundenen Formel "zu Nutz und Frommen".
Wie die verwandten, aber anders gebildeten Adjektive mnd. vrōme, vrāme, vrō̌m, vrām, mnl. vroom, vrōme (nl. vroom ‘fromm’), aengl. fram, anord. framr hat mhd. vrum, vrom die Bedeutung ‘tüchtig, tapfer, rechtschaffen’ und nimmt erst allmählich, das heisst ab 15. Jh. den spezifisch religiösen Inhalt an.
Mit griech. prómos (πρόμος) ‘Vorkämpfer, Führer’, umbr. promom ‘zuerst’, lit. pìrmas ‘der erste’ stellen sich die germ. Formen mit mo-Suffix zu ie. *prō̌ (bzw. seiner Form *pṛ-) ‘vorwärts, vorn, voran’, zu ie. *per ‘das Hinausführen über’ (s. für, vor). – frommen Vb. ‘nützen’, ahd. frummen ‘ausüben, vollbringen’ (8. Jh.), mhd. vrumen, vromen ‘vorwärtskommen, nützen’.
Frömmigkeit f. ‘Gottergebenheit’, mittelhochdeutsch. vrümecheit, vrümekeit ‘Bravheit, Tapferkeit’, abgeleitet von mhd. vrümec ‘gut, brav, tüchtig’.
fromm – Schreibung, Definition, Bedeutung, Etymologie, Synonyme, Beispiele | DWDS
Woher dieser Unterton wohl kommen mag, wenn etwa gesagt wird: "Das ist mir eine schöne tugendhafte Dame"? Da kann sich die Zuhörerschaft ziemlich sicher sein, dass die Erwähnte so ziemlich das Gegenteil davon ist.
Jemandem das Etikett "fromm" anzuhängen ist ganz klar ein Codewort für "übertrieben religiös", "frömmlerisch" bis "bigott", von dem sich der Etikettierende gleichzeitig auch distanziert.
Das Phänomen der Umkehrung des emotionalen und moralischen Kontexts eines Begriffs ist nichts Neues, stammen doch die meisten Kraftausdrücke und Schimpfwörter aus einem sakralen und intimen Kontext.
Müssen wir also für positive Werte neue Begriffe erschaffen, weil es die alten nicht mehr tun, angestaubt und abgebraucht sind? Das geschieht auch schon längst: cool, sexy, geil, abgefahren, nachhaltig, CO2-neutral, umweltschonend, vegan, divers, woke und gendergerecht haben längst den Olymp des neuen allgemeinen Moralkodex' erklommen, auch wenn noch Rückzugsgefechte stattfinden.
Aber es gibt da eine verfemte Gesellschaft, welche mit Vehemenz an überholt geglaubten Begrifflichkeiten in ihrem Kontext festhält, die katholische Kirche. Sie hat es schon immer getan; gemeint ist nicht jene kirchliche Konstruktion mit dem Etikett "synodaler Katholizismus" und auch nicht "Maria 2.0".
Gemeint ist vielmehr ein weltumspannendes Netzwerk, in dem sich Kleriker wie Laien noch immer auf Katechismen, auf Schriften von Kirchenvätern und Kirchenlehrern berufen, und vor allem auf die Evangelien und Apostelbriefe, welche sie nach wie vor als massgebend und autoritativ halten. Es sind Gemeinschaften, in denen Begriffe wie "Glaubenstradition", "Sakramentenpraxis", "Beichtspiegel" oder "Gnadenstand" zeitlos positiv besetzt sind, weil sie gedanklich aus einem Pool an überlieferten Werten schöpfen, mit dem man sich auch heute identifizieren kann und soll.
Es handelt sich um eine bestimmte Spezies Mensch, die beispielsweise einen der sieben Briefe des Heiligen Ignatius von Antiochien zur Hand nimmt und ihn so lesen kann, als ob man soeben eine Message von einem lieben Freund erhalten hat, der ihm Wichtiges mitzuteilen hat:
Bibliothek der Kirchenväter
Das funktioniert natürlich nur bei einer Glaubensvorstellung, einer Wertigkeit und einer Begrifflichkeit, die über die Zeiten hin konstant bleibt. Wenn also im Binnenraum der Kirche der Begriff "fromm" noch immer positiv besetzt ist, dann deshalb, weil er dort noch in seinem ethymologischen Bedeutungsumfeld eingebettet ist, quasi als Referenzgrösse oder ethisch-moralischer Urmeter.
Zum Begriff "fromm":
fromm Adj. ‘von einer religiösen Überzeugung durchdrungen, gottergeben, sanftmütig’ (vgl. lammfromm). Das Adjektiv entsteht in mittelhochdeutscher Zeit, ausgehend vom Gebrauch eines Substantivs althochdeutsch fruma ‘Nutzen, Wohl, Hilfsmittel’ (8. Jh.), mittelhochdeutsch vrum(e), vrome, heute nur noch in der als altertümlich empfundenen Formel "zu Nutz und Frommen".
Wie die verwandten, aber anders gebildeten Adjektive mnd. vrōme, vrāme, vrō̌m, vrām, mnl. vroom, vrōme (nl. vroom ‘fromm’), aengl. fram, anord. framr hat mhd. vrum, vrom die Bedeutung ‘tüchtig, tapfer, rechtschaffen’ und nimmt erst allmählich, das heisst ab 15. Jh. den spezifisch religiösen Inhalt an.
Mit griech. prómos (πρόμος) ‘Vorkämpfer, Führer’, umbr. promom ‘zuerst’, lit. pìrmas ‘der erste’ stellen sich die germ. Formen mit mo-Suffix zu ie. *prō̌ (bzw. seiner Form *pṛ-) ‘vorwärts, vorn, voran’, zu ie. *per ‘das Hinausführen über’ (s. für, vor). – frommen Vb. ‘nützen’, ahd. frummen ‘ausüben, vollbringen’ (8. Jh.), mhd. vrumen, vromen ‘vorwärtskommen, nützen’.
Frömmigkeit f. ‘Gottergebenheit’, mittelhochdeutsch. vrümecheit, vrümekeit ‘Bravheit, Tapferkeit’, abgeleitet von mhd. vrümec ‘gut, brav, tüchtig’.
fromm – Schreibung, Definition, Bedeutung, Etymologie, Synonyme, Beispiele | DWDS