Der Dichter Franz Werfel: Jude und Marienverehrer
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Werfel entdeckte das Katholische und liebte es, seit er als Kind von seinem tschechischen Kindermädchen in die (vorkonziliare!) Liturgie der Prager Piaristenkirche mitgenommen wurde.
Obwohl christusgläubig, wollte er sich aus Solidarität mit seinem Volk, den Juden, nicht taufen lassen. Als er 1945 starb, soll er eine Begierdetaufe formuliert haben.
In seinem Theaterstück „Jakobowsky und der Oberst“ stellt er Judentum und Katholizismus als zwei sich ergänzende und aufeinander angewiesene Mentalitäten dar. Dem die Juden verachtenden, katholischen Oberst aus Polen, zum Sterben bereit und in den Heldentod verliebt, hilft der lebenskluge und ins Leben verliebte Jude Jakobowsky, aus der Heimat des Oberst, immer wieder aus der Patsche; zum Schluss sind es französische Ordensfrauen, die beiden das Leben retten. Das Theaterstück wurde 1958 mit Danny Kaye und Curd Jürgens köstlich verfilmt.
Im Roman „Die vierzig Tage des Musa Dagh“ behandelt Franz Werfel 1933 den türkischen Völkermord an den christlichen Armeniern von 1915.
Mein absolutes Lieblingsbuch ist Franz Werfels Zukunftsroman „Stern der Ungeborenen“. Im Rang sehe ich es als dritte Großleistung deutscher Literatur neben Goethes „Faust“ einschließlich Goethes zweitem „Faust“-Teil mit dessen Verherrlichung Mariens und Wolframs von Eschenbach „Parzival“, dem Roman vom Gral, der Verfehlung und Neufindung göttlicher Berufung und einer herzerfrischenden mittelalterlichen Welt.
Der „Stern der Ungeborenen“ wird unsere noch zukünftige Welt in vielen Jahrtausenden sein. Unsere hochentwickelte Technik ist dann überholt und durch eine hochentwickelte Spiritualität ersetzt. Eine vergeistigte, scheinbar ideale Welt. Aber nur scheinbar. Die katholische Kirche (sie existiert immer noch, ebenso wie das Judentum) widerspricht dem geistigen Hochmut dieser zukünftigen Epoche und insbesondere der neu entwickelten schmerzlosen Art des Sterbens: der Rückentwicklung des Menschen durch das Baden „im retrogenetischen Humus“ zum Kind und dann zum Embryo. Dazu gehört auch, dem Menschen im „See der Entinnerung“ alle belastenden Erinnerungen wegzuziehen. Der zukunftsreisende Ich-Erzähler F.W. gerät in diesen See, beharrt als Jude aber auf seinen Erinnerungen und verlässt diesen tödlichen sogenannten „Wintergarten“ mit Hilfe katholischer Ordensbrüder, die sich gegen die Hochgeistigkeit ihrer Epoche nun „Vom kindhaften Leben“ nennen. Wir erleben in diesem Buch Großartiges, so beim Sternenturnen den tief ergreifenden Aufgang der Venus, die jetzt „Maria Magdalena“ heißt, so wie Jupiter in „Apostel Petrus“ umbenannt wurde. Franz Werfel bleibt zwar auch hier Jude, indem er die Gestalt des Kosmos als „mit sich selbst verheirateten Menschen“ im Sinne jüdischer mittelalterlicher Mystik, der Kabbala, beschreibt. Aber die über 700 Seiten enden mit dem Martyrium eines jungen Katholiken zum Zeugnis gegen die Euthanasie. Und dennoch viel Heiteres in diesem Werk: Amüsant, wie Werfel die Deutschen nach dem 2. Weltkrieg beschreibt, ihren übertriebenen Sühnekult wegen der Naziverbrechen und ihre „Tugend der selbstlosen Aufdringlichkeit“, mit der sich die Nachkriegsdeutschen als Tugendbolde inszenieren. Der 1945 verstorbene Werfel hat da klug vorausgeschaut. Übrigens starb er wie im Roman beschrieben und wurde tatsächlich in den Sarg gelegt mit den Dingen, mit denen er von zukünftigen Spiritisten in die Zukunft zitiert wurde: altertümlicher Frack und Brille. Denn das Judentum mit seinem Alten Testament liebt das Lesen!
Hier zwei Hinweise: 1. Näheres zur möglichen Taufe und Katholizität Werfels von Matthias Hilbert: Aktuelle Beiträge 2. „Stern der Ungeborenen: Ein Reiseroman“ (Franz Werfel, Gesammelte Werke in Einzelbänden) | Werfel, Franz | ISBN: 9783596294619 | , als Taschenbuch 12, 80 €.