Das Zweite Vatikanische Konzil ist gescheitert – und man muß es auch sagen dürfen! Ein Kommentar von Hochwürden Michael Gurtner
Das, was es so schön und entspannend macht, sich mit Physik zu beschäftigen ist die Tatsache, dass Physiker die Dinge so beobachten und annehmen wie sie eben nun einmal sind.
Sie beschreiben eine Wirklichkeit, die sie sehen, analysieren sie gründlich, ziehen daraus ihre Schlüsse und schreiten dabei in der Erkenntnis von Wirklichkeit voran. Das beste dabei ist: das alles geschieht vollkommen emotionslos und unaufgeregt, frei von jeglicher Ideologie. Man beobachtet, man erkennt, und man beschreibt.
Ganz anders leider ist es heute in der Kirche. Im Gegensatz zu früheren Zeiten - als man noch aufrichtig nach Wahrheit forschte und danach suchte, Gottes weisen Ratschluss besser zu erkennen - wird Theologie bzw. kirchliche Debatten heute meist nur noch als emotionsbasierte Plauderei ohne jeglichen geistlichen Bezug betrieben, ohne wirklich tragendem Fundament und Gottesbezug.
Diese Emotionen werden bewusst von Interessensgruppen über die Medien geschürt und dann gesteuert, über die man auch gezielt Druck aufbaut. Dementsprechend ist das Niveau der kirchlichen und theologischen Aussagen massiv gesunken, und ihrem neuen Niveau entsprechend müssen sie auch ernstgenommen werden: nicht das Etikett zählt, sondern der Inhalt. Es gibt in nicht wenigen Bereichen der aktuellen kirchlichen Debatten ein präzise festgelegtes, sehr starres Narrativ, das nicht hinterfragt und dem nicht widersprochen werden darf. Verstöße dagegen werden mit dem barmherzigen Pranger oder gar mit der mitbrüderlichen Todesstrafe geahndet.
Eines dieser Narrative betrifft das letzte Konzil. Momentan ist es nicht möglich, objektiv und emotionslos, wie es sich für eine gute Wissenschaft gehört, über selbiges zu reden. Aber dieses Redeverbot muss aufgebrochen werden, wenn die derzeit anhaltende Kirchenkrise überwunden werden soll, da genau im Zweiten Vatikanum ihr Kern und ihre Grundursache liegen. Solange man sich das nicht eingesteht, wird sich die Kirche nicht erholen können, sondern sie wird sich immer weiter leeren.
Die aktuelle Glaubenskrise ist nichts anderes als die eingefahrene Ernte die aus jener Saat entwachsen ist, welche im Zweiten Vatikanischen Konzil und den nachfolgenden Veränderungen, allen voran der Änderung der Liturgie, ausgebracht wurde. An den Früchten erkennen wir. Um es mit dem Evangelisten Lukas zu sagen: Wenn der Baum aber keine Frucht trägt, so muss er umgehauen werden. Zwar wird gemäß dem Gleichnis für ein Jahr nochmals die Möglichkeit zu Umkehr und Besserung eingeräumt – doch wo diese nicht erfolgen, wird der Baum gefällt, damit er der guten Saat nicht die Nährstoffe wegnehme. Geistlich gesprochen befinden wir uns in dieser letzten Phase.
Der synodale Prozess und sämtliche Forderungen und Aussagen, die damit verbunden sind, sind nichts als eine in sich schlüssige Fortführung dessen, was im Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen wurde. Insofern ist durchaus eine Stringenz darin zu erkennen – es wäre unlogisch die Beschlüsse des letzten Konzils als Abschluss einer Reform, und nicht als deren Anfang zu betrachten.
Mit dem letzten Konzil hat man eine neue "Theologie" eingeläutet, die nur der Beginn eines neuen Weges sein konnte, da die Richtung eine völlig andere war. Es würde keinen Sinn machen, sich sozusagen auf derselben Stelle umzudrehen, d.h. neu auszurichten, ohne auch in diese Richtung zu marschieren. Man hätte sich nur am Stand gedreht, ohne jedoch seine Koordinaten zu verändern. Doch wozu sollte man das tun? Die vielfach geforderte „Hermeneutik der Kontinuität“ mag ein lobenswerter Versuch sein, den entstandenen Schaden zu kaschieren und dadurch zu begrenzen. Dennoch ist es nicht ganz ehrlich, zu behaupten, dies wäre möglich. Es ist ein wenig, als würde man einer vorrückenden Armee sagen: „gut, bis hierher seid ihr vorgerückt und habt uns erobert, aber bitte bescheidet euch nun, bleibt freiwillig stehen und geht nicht weiter voran“.
Das funktioniert deshalb nicht, weil das letzte Konzil sich neu orientiert hat (anthropozentrisch statt theozentrisch), die ersten Schritte gegangen ist, aber die eigenen Vorgaben letztlich noch nicht zu Ende gedacht hatte: die notwendigen Implikationen wären damals zu erschreckend und zu viel gewesen, als dass man sie hätte durchbringen können. Somit zog man es vor, kleine Schritte zu machen und immer nur ein wenig auf einmal zu ändern. Doch viele kleine Schritte führen letztlich sehr weit weg. Wie weit wir uns vom Katholischen entfernt haben, zeigen die aktuellen, sogar kirchlicherseits geförderten und geforderten "Reform"-Bewegung (der „synodale Weg“ ist nur ein Beispiel davon), die ihren Ursprung im letzten Konzil hat, indem es plötzlich vieles von dem guthieß und auf anwandte was die Kirche bislang und mit Recht strikt abgelehnt hatte.
Es war das Zweite Vatikanische Konzil welches Leute - auch Geistliche und Bischöfe - hervorgebracht hat, welche heute sogar die Sakramente in Frage stellen, ein vollkommen anderes Amtsverständnis vertreten, das anders als früher Lehr- und Leitungsgewalt nicht mehr an die Weihe gebunden betrachtet, welche die katholische Glaubenslehre öffentlich verneinen und zur Mehrheitsdisposition stellen, welche in wesentlichen Punkten eine neue Morallehre verlangen, und welche ganz unverhohlen eine „neue Kirche“ fordern, die „ganz anders“ zu sein habe.
Sie fordern dies alles, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Es ist heute die offizielle Marschroute der Kirche geworden, die bereits an der Umsetzung all dieser Forderungen aktiv und auf höchster Ebene arbeitet. Es genügt sich die dahingehenden Äußerungen von Bischöfen und Kardinälen anzuhören.
Die Wurzel dieser Forderungen, von denen etliche de facto schon lange umgesetzt sind (etwa die Trennung von Leitung und Predigt von der Weihe, um nur zwei Beispiele zu benennen) liegt im letzten Konzil, das seither ununterbrochen "fortgeschrieben" wird.
Die Leugnung der Realpräsenz, die Negation des Opfercharakters der Messe, die Ablehnung des Beichtskramentes, die andere Sicht von dem was die Kirche überhaupt ist, das Abrücken von zahlreichen geoffenbarten Glaubenswahrheiten sind alles Beispiele dafür, dass das letzte Konzil es nicht geschafft hat (was anfänglich eigentlich seine Intention war) den reichen Glaubensschatz unverändert zu belassen, aber besser zu erklären.
Anstatt den Glauben zu vertiefen und zu mehren, wurde er verwässert und bis zur Unkenntlichkeit verändert. Das ist an den aktuellen Aussagen von Theologen und Kirchenvertretern leicht festzustellen, wenn man sie mit Aussagen aus Zeiten vor dem Konzil vergleicht. Zwar gab es bereits vor dem Konzil vereinzelte Stimmen welche in diese Richtung dachten, aber kirchlicherseits wurden solche Vorstellungen immer abgelehnt und verurteilt – heute gelten sie hingegen nicht nur als salonfähig, sondern als offizielle Haltung.
Deshalb ist die Frage berechtigt, welche sich mehr und mehr Katholiken stellen: Bis zu welchem Punkt war oder ist die katholische Kirche noch katholisch?
Wenn die Leute nicht mehr glauben, wenn sich die Kirchen leeren, reihenweise die Priesterseminarien geschlossen werden (wie jüngst das traditionsreiche Priesterseminar in Passau), sich die Menschen scharenweise von der Kirche abwenden und vollkommen falsche Vorstellungen von dem haben was die Kirche überhaupt lehrt und warum, können diese und ähnliche Entwicklungen nicht losgelöst vom jüngsten Konzil und den danach eintretenden Entwicklungen gesehen werden.
Das Konzil ist angetreten, den Glauben zu vertiefen. Dann ist die Frage berechtigt, ob es diesem seinem eigenen Anspruch gerecht geworden ist. Gerade auch weil dies sein Anspruch war muss man eine Verbindung zwischen dem tatsächlichen Glauben der Menschen heute und dem letzten Konzil sehen. Wenn man die gegenwärtige Situation objektiv und nüchtern analysiert und die Ursachen dafür sucht, so kommt man nicht umhin nach sechzig Jahren Erfahrung ernüchtert festzustellen: Das Zweite Vatikanische Konzil ist gescheitert.
Wie sehr sich der Glaube geändert hat lässt sich auch daran erkennen, dass viele hervorragende Geistliche, die noch vor wenigen Jahrzehnten von Rom zu Professoren oder Bischöfen ernannt wurden, es heute wohl nicht einmal mehr durch das Priesterseminar schaffen würden. Wer früher Bischof war, könnte vielfach heute nicht mehr einfacher Priester werden, müsste die Kirche die Entscheidung nochmals treffen. Dabei meine ich nicht einmal Personen aus dem Traditionsspektrum oder aus Zeiten vor dem Konzil, sondern durchaus Leute, welche nach dem Abschluss des letzten Konzils gewirkt haben. So würde etwa ein Joseph Ratzinger, ebenso wie sein Bruder Georg, wohl kaum nochmals eine Weihezulassung zur Priesterweihe erhalten, geschweige denn würde er dem heutigen Profil eines Bischofs entsprechen. Ähnlich wäre es kaum vorstellbar, dass ein Kardinal Leo Scheffcyk oder ein Georg Eder heute noch zum Professor oder Bischof ernannt würden. Und selbst ein so hervorragender Erzbischof wie S.Ex. Wolfgang Haas würde heute wohl kaum noch Priester werden können, geschweige denn Bischof. Selbst die Kardinäle Müller (der wirklich kein Traditionalist ist) oder Sarah, ganz zu schweigen von Burke oder Brandmüller oder Bischöfe wie Dyba, Laun oder Huonder würden es kaum noch durch ein Priesterseminar bis zur Weihe schaffen, da ihre Ansichten, welche gestern noch legitim waren, heute als unsäglich und obsolet gelten.
Mittlerweile sind wir an einem Punkt angelangt, dass hochrangige Kirchenfunktionäre stolz verkünden, niemand hätte Sanktionen zu befürchten, wenn er gegen die zumindest offiziell noch geltenden moralischen oder doktrinellen Normen der Kirche verstößt, ebenso würde es keine Konsequenzen geben wenn man (im Rahmen des synodalen Wegen oder auch außerhalb desselben) auf doktrineller und struktureller Ebene Dinge fordert, welche mit der katholischen Lehre nicht in Einklang stehen.
Auch Laien die predigen oder Priester welche schwerwiegende liturgische Missbräuche begehen haben nichts zu befürchten, während zugleich ein Priester (was jeder Priester auch trotz Verbot tun sollte!), der die alte Messe liest, der bereit ist, die Taufe im alten Ritus zu spenden oder die Lehre der Kirche vertritt, wie sie bis vor wenigen Jahren auch de facto noch gegolten hat, mit Ausgrenzung durch seine Diözese bzw. Orden, Absetzung oder anderen schwerwiegenden Konsequenzen rechnen muss.
Angenommen Priester A würde öffentlich das Frauenpriestertum verlangen, die Leitungsgewalt und Predigt durch Laien fordern sowie eine generelle Synodalisierung der Kirche, während Priester B öffentlich sagen würde dass es ein Fehler war als man weibliche Ministranten zugelassen hat, zumindest gelegentlich und öffentlich die Messe nach dem Missale 1962 lesen würde und auf die innere theologische Verflechtung von Weihe und Lehr- und Leitungsvollmacht bestehen würde, wie es auch in Wahrheit der Fall ist: Welcher von beiden würde Probleme bekommen und wer die Beförderung? Wer die Absetzung und wer weitere Ernennungsdekrete? Das Abgleiten ins Andere, bisher Verbotenem, ist erlaubt, nicht aber das Festhalten am Glauben.
Vollkommen unabhängig wie man zur alten Liturgie und den gegenwärtigen Änderungsbestrebungen in Dogmatik und Moral inhaltlich stehen mag: es ist empirisch nicht zu leugnen, dass in zahlreichen Punkten das bisher Verbotene gefördert wird und künftig zum verpflichtenden Standard werden soll, während umgekehrt vieles von dem, was bisher verpflichtend oder erlaubt war verboten und wie ein Verbrechen gegen die Reinheit des Glaubens geahndet und sanktioniert wird. In dieser empirisch verifizierbaren Beobachtung werden wohl alle übereinstimmen, sowohl die Befürworter dieser Entwicklung als auch deren Gegner.
An diesem Punkt stellt sich die Frage: Wie soll man das anders erklären können, wenn nicht so, dass man tatsächlich und von den „höchsten Stellen“ aus die alte Kirche zu Gunsten einer neuen, anderen Kirche abschaffen will, unter Beibehaltung derselben Beschriftung? Ist es nicht genau die Umsetzung jener Agenda, die selbst Bischöfe und Kardinäle öffentlich ausgegeben haben, nämlich dass die Kirche „eine ganz andere“ werden müsse? Man ist gerade dabei, das Katholische inhaltlich durch „anderes“ zu ersetzen, ohne dass man sich jedoch dabei offiziell vom Katholischen als Etikett lossagt.
Das Katholische soll bestehen bleiben – als eine beruhigende Beschriftung um möglichst viele „abzuholen und mitzunehmen“, aber auch nicht mehr als das. Letztlich geht es nicht nur darum, dass einzelne Leute etwas anderes wollen und sich deshalb persönlich von der katholischen Kirche lossagen, ohne diese zu verändern, sondern es geht um viel mehr: Das Katholische darf es in Zukunft nicht mehr geben, es muss ausgerottet werden. Das Katholisch von gestern ist die Häresie von heute. Dass dies keine Schwarzmalerei ist, sondern konkrete Wirklichkeit ist, beweist das gezielte und scharfe, ja geradezu kriegerisch vernichtende Vorgehen gegen die klassische, Römische Liturgie. Unverhohlen erklärt der Heilige Stuhl, dass es sie nicht mehr geben darf. Der minimale Rest, der unter strengsten Auflagen gewährt wird, dient nur als Übergang, bis sie endgültig und ausnahmslos verschwindet. Die Ausrottung dessen, was früher verbindlich war, ist das offiziell erklärte Ziel.
Das schmälert nicht das große Verdienst von Traditionis custodes und von dessen Begleitbrief, die korrekt feststellen, dass es einen inneren Konflikt zwischen dem Festhalten an der Katholischen Lehre (was die alte Liturgie mit einschließt) und den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils gibt. Wer „traditionell“, das heißt, katholisch, eingestellt ist, wird zwangsläufig Vorbehalte gegen das letzte Konzil und die darauf basierenden nachfolgenden Änderungen hegen müssen, da es in vielem anders denkt als die Kirche denkt. Deshalb insistiert das Motu Proprio ja auch in Art 3 §2 darauf, dass die Bischöfe, um die alte Messe ausnahmsweise erlauben zu dürfen, sicherstellen müssen, "dass diese Gruppen nicht die Gültigkeit und die Legitimität der Liturgiereform, der Bestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Lehramtes der Päpste ausschließen“.
In seinem Begleitbrief schriebt Franziskus über seine Sorge „von einer wachsenden Ablehnung nicht nur der Liturgiereform, sondern des Zweiten Vatikanischen Konzils unter der unbegründeten und unhaltbaren Behauptung, dass es die Tradition und die „wahre Kirche“ verraten habe“. Die kritische Haltung gegenüber dem letzten Konzil ist also am Wachsen, und kann nicht mehr übersehen werden – weshalb man sich gezwungen sah, dagegen zu handeln.
Die Ausführungsbestimmungen zu Traditionis custodes stellen fest, dass die Gläubigen der Römischen Liturgie und Theologie aus dieser Haltung hinausgeführt werden sollten, und dass es eine „erneuerte" Ekklesiologie gäbe, die mit der Liturgiereform in Zusammenhang steht: „Bei der Umsetzung der Bestimmungen ist darauf zu achten, dass all jene, die in der früheren Zelebrationsform verwurzelt sind, zu einem vollen Verständnis des Wertes der Zelebration in der rituellen Form, die uns durch die Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils geschenkt wurde, geführt werden, und zwar durch eine angemessene Ausbildung, die es ermöglicht, zu entdecken, wie dieses Zeugnis eines unveränderten Glaubens, Ausdruck einer erneuerten Ekklesiologie und primäre Quelle der Spiritualität des christlichen Lebens ist.“
Diese und ähnliche Feststellungen die in dieselbe Richtung zielen sind ein wirklicher Fortschritt gegenüber früheren Dokumenten den man dankbar würdigen muss. Bislang wurde nämlich eher behauptet, es hätte kein substantieller Bruch stattgefunden, sondern sämtliche Reformen stünden in einer organischen Kontinuität: eine Position welche eher auf diplomatischen Erwägungen und einer Beschwichtigungstaktik denn auf dogmatisch-liturgischen Beobachtungen zu beruhen schien, und inhaltlich von vielen nicht geteilt wurde. Es galt vielen eher als ein „Schönreden“ einer gar nicht schönen Sachlage. Spannungen und Widersprüche wurden kleingeredet. Nun greifen die neueren Dokumente dieses Problem auf und sind in diesem Punkt viel ehrlicher: Die Ekklesiologie und auch generell die Liturgie haben sich mit dem letzten Konzil geändert – man hat begonnen, „anders“ zu denken und zu werden. Dies ist eine korrekte, erfrischend ehrliche Aussage, welche das Problem auf den Punkt bringt.
Wenn die derzeitige Glaubens- und Kirchenkrise in Zusammenhang mit den erfolgten und noch geplanten Änderungen in Lehre und Praxis der Kirche steht, diese Neuerungen aber alle ihren Ursprung im Zweiten Vatikanum haben, dann ist dieses Konzil selbst letztlich die Kernursache für die gegenwärtigen Krisen. Das Zweite Vatikanum ist somit gescheitert.
Solange man sich das nicht eingesteht wird es keinen Ausweg aus der Krise geben. Mit der Kirche ist es wie mit dem Alkoholiker, der sich sein Problem erst eingestehen muss, bevor ihm geholfen werden kann.
Derzeit sieht es nicht danach aus, wie es erst jüngst in Köln wieder bei einem renommierten Kanonisten und Latinisten bewiesen wurde: berechtigte, unangenehme Fragen zu stellen, die das künstlich konstruierte Gebäude ins Wanken bringen könnten, weil sie etwas in Frage stellen und den Finger auf einen wunden Punkt legen und auf diesen hindeuten, wird mit Verstoß und Exil geahndet, und kommt einer Vernichtung gleich.
Zwar hat man jahrelang gepredigt, man müsse „gut aufpassen“, „genau hinschauen“ und „den Mund aufmachen“, weil solche Slogans gut ankommen. Aber Tut es einer tatsächlich und schwimmt berechtigt gegen den Strom, so rutscht er rasch auf die schwarze Liste der abzuschießenden Personen. Jeder Vorwand ist willkommen.
Solange man sich den Zusammenhang von Glaubens- und Kirchenkrise, verbunden mit einem allgemeinen Niedergang, und dem Pastoralkonzil nicht eingesteht, und es nicht endlich möglich wird, offen und emotionslos darüber zu sprechen, wird dieser Niedergang weitergehen, bis letztlich nichts mehr übrig bleibt als das, was wirklich und vollständig katholisch ist - damit aber der vorherrschenden Diktatur nicht entspricht. Entweder erkennen wir die Zusammenhänge, gestehen uns das Versagen des Zweiten Vatikanischen Konzils und der nachfolgenden Reformen ein und kehren um und werden wieder katholisch, um zu retten was noch zu retten ist, oder wir werden so weit gesundgeschrumpft dass ganz von selber nur mehr das wahrhaft Katholische übrig bleiben wird, weil alles andere vergangen sein wird – so wie es jetzt schon am Vergehen ist, wie die leeren Bänke und Priesterseminare uns zeigen.
Somit stimmt es dass nur die alte, katholische Liturgie und der überlieferte Glaube der Kirche überleben werden: weil man freiwillig dazu zurückkehrt, oder weil alles andere so lange niedergehen wird bis es ausgestorben ist. Darin besteht jener Prozess, wie ihn St. Lukas beschreibt: Was wir derzeit erleben ist das Abhauen des Baumes, der keine Frucht bringt. Die Axt ist angelegt.
Deshalb besteht seit sechzig Jahren, und heute mehr denn je ein dringender Appell an jeden Katholiken, ganz speziell aber an die Priester und Bischöfe: Lernen wir endlich von der vorbildhaften Emotionslosigkeit der physikalischen Denk- und Forschungsweise und beginnen auch wir Theologen, genauso wie es die Physiker seit jeher gewohnt sind, die Dinge und deren inneren Zusammenhänge objektiv zu beobachten, sauber zu analysieren und vollständig zu beschreiben, wobei nichts anderes uns leiten darf als der lebendige Glaube an den göttlichen Heiland.
Beginnen wir im Zuge dessen auch damit, die Dinge im Angesichte Gottes mit wissenschaftlicher Redlichkeit endlich beim Namen zu benennen, anstatt zu verschweigen, oder das Narrativ vom „kirchlichen Überleben durch Reformieren“ zu wiederholen, welches nicht das Heilmittel der Kirche ist, sondern deren tödliches Gift.
Bilder: Lothar Wolleh, Wikipedia, CC-BY-SA
Sie beschreiben eine Wirklichkeit, die sie sehen, analysieren sie gründlich, ziehen daraus ihre Schlüsse und schreiten dabei in der Erkenntnis von Wirklichkeit voran. Das beste dabei ist: das alles geschieht vollkommen emotionslos und unaufgeregt, frei von jeglicher Ideologie. Man beobachtet, man erkennt, und man beschreibt.
Ganz anders leider ist es heute in der Kirche. Im Gegensatz zu früheren Zeiten - als man noch aufrichtig nach Wahrheit forschte und danach suchte, Gottes weisen Ratschluss besser zu erkennen - wird Theologie bzw. kirchliche Debatten heute meist nur noch als emotionsbasierte Plauderei ohne jeglichen geistlichen Bezug betrieben, ohne wirklich tragendem Fundament und Gottesbezug.
Diese Emotionen werden bewusst von Interessensgruppen über die Medien geschürt und dann gesteuert, über die man auch gezielt Druck aufbaut. Dementsprechend ist das Niveau der kirchlichen und theologischen Aussagen massiv gesunken, und ihrem neuen Niveau entsprechend müssen sie auch ernstgenommen werden: nicht das Etikett zählt, sondern der Inhalt. Es gibt in nicht wenigen Bereichen der aktuellen kirchlichen Debatten ein präzise festgelegtes, sehr starres Narrativ, das nicht hinterfragt und dem nicht widersprochen werden darf. Verstöße dagegen werden mit dem barmherzigen Pranger oder gar mit der mitbrüderlichen Todesstrafe geahndet.
Eines dieser Narrative betrifft das letzte Konzil. Momentan ist es nicht möglich, objektiv und emotionslos, wie es sich für eine gute Wissenschaft gehört, über selbiges zu reden. Aber dieses Redeverbot muss aufgebrochen werden, wenn die derzeit anhaltende Kirchenkrise überwunden werden soll, da genau im Zweiten Vatikanum ihr Kern und ihre Grundursache liegen. Solange man sich das nicht eingesteht, wird sich die Kirche nicht erholen können, sondern sie wird sich immer weiter leeren.
Die aktuelle Glaubenskrise ist nichts anderes als die eingefahrene Ernte die aus jener Saat entwachsen ist, welche im Zweiten Vatikanischen Konzil und den nachfolgenden Veränderungen, allen voran der Änderung der Liturgie, ausgebracht wurde. An den Früchten erkennen wir. Um es mit dem Evangelisten Lukas zu sagen: Wenn der Baum aber keine Frucht trägt, so muss er umgehauen werden. Zwar wird gemäß dem Gleichnis für ein Jahr nochmals die Möglichkeit zu Umkehr und Besserung eingeräumt – doch wo diese nicht erfolgen, wird der Baum gefällt, damit er der guten Saat nicht die Nährstoffe wegnehme. Geistlich gesprochen befinden wir uns in dieser letzten Phase.
Der synodale Prozess und sämtliche Forderungen und Aussagen, die damit verbunden sind, sind nichts als eine in sich schlüssige Fortführung dessen, was im Zweiten Vatikanischen Konzil begonnen wurde. Insofern ist durchaus eine Stringenz darin zu erkennen – es wäre unlogisch die Beschlüsse des letzten Konzils als Abschluss einer Reform, und nicht als deren Anfang zu betrachten.
Mit dem letzten Konzil hat man eine neue "Theologie" eingeläutet, die nur der Beginn eines neuen Weges sein konnte, da die Richtung eine völlig andere war. Es würde keinen Sinn machen, sich sozusagen auf derselben Stelle umzudrehen, d.h. neu auszurichten, ohne auch in diese Richtung zu marschieren. Man hätte sich nur am Stand gedreht, ohne jedoch seine Koordinaten zu verändern. Doch wozu sollte man das tun? Die vielfach geforderte „Hermeneutik der Kontinuität“ mag ein lobenswerter Versuch sein, den entstandenen Schaden zu kaschieren und dadurch zu begrenzen. Dennoch ist es nicht ganz ehrlich, zu behaupten, dies wäre möglich. Es ist ein wenig, als würde man einer vorrückenden Armee sagen: „gut, bis hierher seid ihr vorgerückt und habt uns erobert, aber bitte bescheidet euch nun, bleibt freiwillig stehen und geht nicht weiter voran“.
Das funktioniert deshalb nicht, weil das letzte Konzil sich neu orientiert hat (anthropozentrisch statt theozentrisch), die ersten Schritte gegangen ist, aber die eigenen Vorgaben letztlich noch nicht zu Ende gedacht hatte: die notwendigen Implikationen wären damals zu erschreckend und zu viel gewesen, als dass man sie hätte durchbringen können. Somit zog man es vor, kleine Schritte zu machen und immer nur ein wenig auf einmal zu ändern. Doch viele kleine Schritte führen letztlich sehr weit weg. Wie weit wir uns vom Katholischen entfernt haben, zeigen die aktuellen, sogar kirchlicherseits geförderten und geforderten "Reform"-Bewegung (der „synodale Weg“ ist nur ein Beispiel davon), die ihren Ursprung im letzten Konzil hat, indem es plötzlich vieles von dem guthieß und auf anwandte was die Kirche bislang und mit Recht strikt abgelehnt hatte.
Es war das Zweite Vatikanische Konzil welches Leute - auch Geistliche und Bischöfe - hervorgebracht hat, welche heute sogar die Sakramente in Frage stellen, ein vollkommen anderes Amtsverständnis vertreten, das anders als früher Lehr- und Leitungsgewalt nicht mehr an die Weihe gebunden betrachtet, welche die katholische Glaubenslehre öffentlich verneinen und zur Mehrheitsdisposition stellen, welche in wesentlichen Punkten eine neue Morallehre verlangen, und welche ganz unverhohlen eine „neue Kirche“ fordern, die „ganz anders“ zu sein habe.
Sie fordern dies alles, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Es ist heute die offizielle Marschroute der Kirche geworden, die bereits an der Umsetzung all dieser Forderungen aktiv und auf höchster Ebene arbeitet. Es genügt sich die dahingehenden Äußerungen von Bischöfen und Kardinälen anzuhören.
Die Wurzel dieser Forderungen, von denen etliche de facto schon lange umgesetzt sind (etwa die Trennung von Leitung und Predigt von der Weihe, um nur zwei Beispiele zu benennen) liegt im letzten Konzil, das seither ununterbrochen "fortgeschrieben" wird.
Die Leugnung der Realpräsenz, die Negation des Opfercharakters der Messe, die Ablehnung des Beichtskramentes, die andere Sicht von dem was die Kirche überhaupt ist, das Abrücken von zahlreichen geoffenbarten Glaubenswahrheiten sind alles Beispiele dafür, dass das letzte Konzil es nicht geschafft hat (was anfänglich eigentlich seine Intention war) den reichen Glaubensschatz unverändert zu belassen, aber besser zu erklären.
Anstatt den Glauben zu vertiefen und zu mehren, wurde er verwässert und bis zur Unkenntlichkeit verändert. Das ist an den aktuellen Aussagen von Theologen und Kirchenvertretern leicht festzustellen, wenn man sie mit Aussagen aus Zeiten vor dem Konzil vergleicht. Zwar gab es bereits vor dem Konzil vereinzelte Stimmen welche in diese Richtung dachten, aber kirchlicherseits wurden solche Vorstellungen immer abgelehnt und verurteilt – heute gelten sie hingegen nicht nur als salonfähig, sondern als offizielle Haltung.
Deshalb ist die Frage berechtigt, welche sich mehr und mehr Katholiken stellen: Bis zu welchem Punkt war oder ist die katholische Kirche noch katholisch?
Wenn die Leute nicht mehr glauben, wenn sich die Kirchen leeren, reihenweise die Priesterseminarien geschlossen werden (wie jüngst das traditionsreiche Priesterseminar in Passau), sich die Menschen scharenweise von der Kirche abwenden und vollkommen falsche Vorstellungen von dem haben was die Kirche überhaupt lehrt und warum, können diese und ähnliche Entwicklungen nicht losgelöst vom jüngsten Konzil und den danach eintretenden Entwicklungen gesehen werden.
Das Konzil ist angetreten, den Glauben zu vertiefen. Dann ist die Frage berechtigt, ob es diesem seinem eigenen Anspruch gerecht geworden ist. Gerade auch weil dies sein Anspruch war muss man eine Verbindung zwischen dem tatsächlichen Glauben der Menschen heute und dem letzten Konzil sehen. Wenn man die gegenwärtige Situation objektiv und nüchtern analysiert und die Ursachen dafür sucht, so kommt man nicht umhin nach sechzig Jahren Erfahrung ernüchtert festzustellen: Das Zweite Vatikanische Konzil ist gescheitert.
Wie sehr sich der Glaube geändert hat lässt sich auch daran erkennen, dass viele hervorragende Geistliche, die noch vor wenigen Jahrzehnten von Rom zu Professoren oder Bischöfen ernannt wurden, es heute wohl nicht einmal mehr durch das Priesterseminar schaffen würden. Wer früher Bischof war, könnte vielfach heute nicht mehr einfacher Priester werden, müsste die Kirche die Entscheidung nochmals treffen. Dabei meine ich nicht einmal Personen aus dem Traditionsspektrum oder aus Zeiten vor dem Konzil, sondern durchaus Leute, welche nach dem Abschluss des letzten Konzils gewirkt haben. So würde etwa ein Joseph Ratzinger, ebenso wie sein Bruder Georg, wohl kaum nochmals eine Weihezulassung zur Priesterweihe erhalten, geschweige denn würde er dem heutigen Profil eines Bischofs entsprechen. Ähnlich wäre es kaum vorstellbar, dass ein Kardinal Leo Scheffcyk oder ein Georg Eder heute noch zum Professor oder Bischof ernannt würden. Und selbst ein so hervorragender Erzbischof wie S.Ex. Wolfgang Haas würde heute wohl kaum noch Priester werden können, geschweige denn Bischof. Selbst die Kardinäle Müller (der wirklich kein Traditionalist ist) oder Sarah, ganz zu schweigen von Burke oder Brandmüller oder Bischöfe wie Dyba, Laun oder Huonder würden es kaum noch durch ein Priesterseminar bis zur Weihe schaffen, da ihre Ansichten, welche gestern noch legitim waren, heute als unsäglich und obsolet gelten.
Mittlerweile sind wir an einem Punkt angelangt, dass hochrangige Kirchenfunktionäre stolz verkünden, niemand hätte Sanktionen zu befürchten, wenn er gegen die zumindest offiziell noch geltenden moralischen oder doktrinellen Normen der Kirche verstößt, ebenso würde es keine Konsequenzen geben wenn man (im Rahmen des synodalen Wegen oder auch außerhalb desselben) auf doktrineller und struktureller Ebene Dinge fordert, welche mit der katholischen Lehre nicht in Einklang stehen.
Auch Laien die predigen oder Priester welche schwerwiegende liturgische Missbräuche begehen haben nichts zu befürchten, während zugleich ein Priester (was jeder Priester auch trotz Verbot tun sollte!), der die alte Messe liest, der bereit ist, die Taufe im alten Ritus zu spenden oder die Lehre der Kirche vertritt, wie sie bis vor wenigen Jahren auch de facto noch gegolten hat, mit Ausgrenzung durch seine Diözese bzw. Orden, Absetzung oder anderen schwerwiegenden Konsequenzen rechnen muss.
Angenommen Priester A würde öffentlich das Frauenpriestertum verlangen, die Leitungsgewalt und Predigt durch Laien fordern sowie eine generelle Synodalisierung der Kirche, während Priester B öffentlich sagen würde dass es ein Fehler war als man weibliche Ministranten zugelassen hat, zumindest gelegentlich und öffentlich die Messe nach dem Missale 1962 lesen würde und auf die innere theologische Verflechtung von Weihe und Lehr- und Leitungsvollmacht bestehen würde, wie es auch in Wahrheit der Fall ist: Welcher von beiden würde Probleme bekommen und wer die Beförderung? Wer die Absetzung und wer weitere Ernennungsdekrete? Das Abgleiten ins Andere, bisher Verbotenem, ist erlaubt, nicht aber das Festhalten am Glauben.
Vollkommen unabhängig wie man zur alten Liturgie und den gegenwärtigen Änderungsbestrebungen in Dogmatik und Moral inhaltlich stehen mag: es ist empirisch nicht zu leugnen, dass in zahlreichen Punkten das bisher Verbotene gefördert wird und künftig zum verpflichtenden Standard werden soll, während umgekehrt vieles von dem, was bisher verpflichtend oder erlaubt war verboten und wie ein Verbrechen gegen die Reinheit des Glaubens geahndet und sanktioniert wird. In dieser empirisch verifizierbaren Beobachtung werden wohl alle übereinstimmen, sowohl die Befürworter dieser Entwicklung als auch deren Gegner.
An diesem Punkt stellt sich die Frage: Wie soll man das anders erklären können, wenn nicht so, dass man tatsächlich und von den „höchsten Stellen“ aus die alte Kirche zu Gunsten einer neuen, anderen Kirche abschaffen will, unter Beibehaltung derselben Beschriftung? Ist es nicht genau die Umsetzung jener Agenda, die selbst Bischöfe und Kardinäle öffentlich ausgegeben haben, nämlich dass die Kirche „eine ganz andere“ werden müsse? Man ist gerade dabei, das Katholische inhaltlich durch „anderes“ zu ersetzen, ohne dass man sich jedoch dabei offiziell vom Katholischen als Etikett lossagt.
Das Katholische soll bestehen bleiben – als eine beruhigende Beschriftung um möglichst viele „abzuholen und mitzunehmen“, aber auch nicht mehr als das. Letztlich geht es nicht nur darum, dass einzelne Leute etwas anderes wollen und sich deshalb persönlich von der katholischen Kirche lossagen, ohne diese zu verändern, sondern es geht um viel mehr: Das Katholische darf es in Zukunft nicht mehr geben, es muss ausgerottet werden. Das Katholisch von gestern ist die Häresie von heute. Dass dies keine Schwarzmalerei ist, sondern konkrete Wirklichkeit ist, beweist das gezielte und scharfe, ja geradezu kriegerisch vernichtende Vorgehen gegen die klassische, Römische Liturgie. Unverhohlen erklärt der Heilige Stuhl, dass es sie nicht mehr geben darf. Der minimale Rest, der unter strengsten Auflagen gewährt wird, dient nur als Übergang, bis sie endgültig und ausnahmslos verschwindet. Die Ausrottung dessen, was früher verbindlich war, ist das offiziell erklärte Ziel.
Das schmälert nicht das große Verdienst von Traditionis custodes und von dessen Begleitbrief, die korrekt feststellen, dass es einen inneren Konflikt zwischen dem Festhalten an der Katholischen Lehre (was die alte Liturgie mit einschließt) und den Texten des Zweiten Vatikanischen Konzils gibt. Wer „traditionell“, das heißt, katholisch, eingestellt ist, wird zwangsläufig Vorbehalte gegen das letzte Konzil und die darauf basierenden nachfolgenden Änderungen hegen müssen, da es in vielem anders denkt als die Kirche denkt. Deshalb insistiert das Motu Proprio ja auch in Art 3 §2 darauf, dass die Bischöfe, um die alte Messe ausnahmsweise erlauben zu dürfen, sicherstellen müssen, "dass diese Gruppen nicht die Gültigkeit und die Legitimität der Liturgiereform, der Bestimmungen des Zweiten Vatikanischen Konzils und des Lehramtes der Päpste ausschließen“.
In seinem Begleitbrief schriebt Franziskus über seine Sorge „von einer wachsenden Ablehnung nicht nur der Liturgiereform, sondern des Zweiten Vatikanischen Konzils unter der unbegründeten und unhaltbaren Behauptung, dass es die Tradition und die „wahre Kirche“ verraten habe“. Die kritische Haltung gegenüber dem letzten Konzil ist also am Wachsen, und kann nicht mehr übersehen werden – weshalb man sich gezwungen sah, dagegen zu handeln.
Die Ausführungsbestimmungen zu Traditionis custodes stellen fest, dass die Gläubigen der Römischen Liturgie und Theologie aus dieser Haltung hinausgeführt werden sollten, und dass es eine „erneuerte" Ekklesiologie gäbe, die mit der Liturgiereform in Zusammenhang steht: „Bei der Umsetzung der Bestimmungen ist darauf zu achten, dass all jene, die in der früheren Zelebrationsform verwurzelt sind, zu einem vollen Verständnis des Wertes der Zelebration in der rituellen Form, die uns durch die Reform des Zweiten Vatikanischen Konzils geschenkt wurde, geführt werden, und zwar durch eine angemessene Ausbildung, die es ermöglicht, zu entdecken, wie dieses Zeugnis eines unveränderten Glaubens, Ausdruck einer erneuerten Ekklesiologie und primäre Quelle der Spiritualität des christlichen Lebens ist.“
Diese und ähnliche Feststellungen die in dieselbe Richtung zielen sind ein wirklicher Fortschritt gegenüber früheren Dokumenten den man dankbar würdigen muss. Bislang wurde nämlich eher behauptet, es hätte kein substantieller Bruch stattgefunden, sondern sämtliche Reformen stünden in einer organischen Kontinuität: eine Position welche eher auf diplomatischen Erwägungen und einer Beschwichtigungstaktik denn auf dogmatisch-liturgischen Beobachtungen zu beruhen schien, und inhaltlich von vielen nicht geteilt wurde. Es galt vielen eher als ein „Schönreden“ einer gar nicht schönen Sachlage. Spannungen und Widersprüche wurden kleingeredet. Nun greifen die neueren Dokumente dieses Problem auf und sind in diesem Punkt viel ehrlicher: Die Ekklesiologie und auch generell die Liturgie haben sich mit dem letzten Konzil geändert – man hat begonnen, „anders“ zu denken und zu werden. Dies ist eine korrekte, erfrischend ehrliche Aussage, welche das Problem auf den Punkt bringt.
Wenn die derzeitige Glaubens- und Kirchenkrise in Zusammenhang mit den erfolgten und noch geplanten Änderungen in Lehre und Praxis der Kirche steht, diese Neuerungen aber alle ihren Ursprung im Zweiten Vatikanum haben, dann ist dieses Konzil selbst letztlich die Kernursache für die gegenwärtigen Krisen. Das Zweite Vatikanum ist somit gescheitert.
Solange man sich das nicht eingesteht wird es keinen Ausweg aus der Krise geben. Mit der Kirche ist es wie mit dem Alkoholiker, der sich sein Problem erst eingestehen muss, bevor ihm geholfen werden kann.
Derzeit sieht es nicht danach aus, wie es erst jüngst in Köln wieder bei einem renommierten Kanonisten und Latinisten bewiesen wurde: berechtigte, unangenehme Fragen zu stellen, die das künstlich konstruierte Gebäude ins Wanken bringen könnten, weil sie etwas in Frage stellen und den Finger auf einen wunden Punkt legen und auf diesen hindeuten, wird mit Verstoß und Exil geahndet, und kommt einer Vernichtung gleich.
Zwar hat man jahrelang gepredigt, man müsse „gut aufpassen“, „genau hinschauen“ und „den Mund aufmachen“, weil solche Slogans gut ankommen. Aber Tut es einer tatsächlich und schwimmt berechtigt gegen den Strom, so rutscht er rasch auf die schwarze Liste der abzuschießenden Personen. Jeder Vorwand ist willkommen.
Solange man sich den Zusammenhang von Glaubens- und Kirchenkrise, verbunden mit einem allgemeinen Niedergang, und dem Pastoralkonzil nicht eingesteht, und es nicht endlich möglich wird, offen und emotionslos darüber zu sprechen, wird dieser Niedergang weitergehen, bis letztlich nichts mehr übrig bleibt als das, was wirklich und vollständig katholisch ist - damit aber der vorherrschenden Diktatur nicht entspricht. Entweder erkennen wir die Zusammenhänge, gestehen uns das Versagen des Zweiten Vatikanischen Konzils und der nachfolgenden Reformen ein und kehren um und werden wieder katholisch, um zu retten was noch zu retten ist, oder wir werden so weit gesundgeschrumpft dass ganz von selber nur mehr das wahrhaft Katholische übrig bleiben wird, weil alles andere vergangen sein wird – so wie es jetzt schon am Vergehen ist, wie die leeren Bänke und Priesterseminare uns zeigen.
Somit stimmt es dass nur die alte, katholische Liturgie und der überlieferte Glaube der Kirche überleben werden: weil man freiwillig dazu zurückkehrt, oder weil alles andere so lange niedergehen wird bis es ausgestorben ist. Darin besteht jener Prozess, wie ihn St. Lukas beschreibt: Was wir derzeit erleben ist das Abhauen des Baumes, der keine Frucht bringt. Die Axt ist angelegt.
Deshalb besteht seit sechzig Jahren, und heute mehr denn je ein dringender Appell an jeden Katholiken, ganz speziell aber an die Priester und Bischöfe: Lernen wir endlich von der vorbildhaften Emotionslosigkeit der physikalischen Denk- und Forschungsweise und beginnen auch wir Theologen, genauso wie es die Physiker seit jeher gewohnt sind, die Dinge und deren inneren Zusammenhänge objektiv zu beobachten, sauber zu analysieren und vollständig zu beschreiben, wobei nichts anderes uns leiten darf als der lebendige Glaube an den göttlichen Heiland.
Beginnen wir im Zuge dessen auch damit, die Dinge im Angesichte Gottes mit wissenschaftlicher Redlichkeit endlich beim Namen zu benennen, anstatt zu verschweigen, oder das Narrativ vom „kirchlichen Überleben durch Reformieren“ zu wiederholen, welches nicht das Heilmittel der Kirche ist, sondern deren tödliches Gift.
Bilder: Lothar Wolleh, Wikipedia, CC-BY-SA