@sedisvakanz"Aber eines würde mich interessieren:
Andauernd schreiben Sie davon, dass die Wurzel des Übels schon im 1, Vatikanum zu suchen sei.
Ich habe Sie schon einmal gebeten und tue es wieder:Führen Sie doch Ihre Behauptungen einmal näher aus!"
Zunächst einmal (um Missverständnisse zu vermeiden): Ich bin nicht der Meinung, dass das 1. Vaticanum die
einzige Wurzel des heutigen kirchlichen "Übels" sei, da es nicht der Anfangs-, sondern in gewisser Weise der Endpunkt des Papalsystems ist, dass sich im Laufe der Jahrhunderte im "Westen" immer mehr etablieren konnte, das die Kirche jedoch jahrhundertelang nicht gekannt hat (schon gar nicht im Sinne der beiden erstvatikanischen Papstdogmen).
Was kann man konkret am 1. Vaticanum kritisch sehen? Für heute nur zwei Punkte:
1. Päpstliche Unfehlbarkeit und päpstlicher Jurisdiktionsprimat, wie sie das 1. Vaticanum versteht, waren lange Zeit in der Kirche - auch in der römischen! - unbekannt. Wenn man diese beiden "Dogmen" dennoch anerkannen und gleichzeitig historisch redlich bleiben will, braucht man ein - m. E. grundsätzlich fragwürdiges - Konzept von Dogmenevolution und die intelligenteren Verfechter dieser "Dogmen" auf oder nach dem 1. Vaticanum haben auch wirklich ein solches Konzept vorausgesetzt und angewandt. Ein andere Möglichkeit ist es natürlich, die historische Frage für irrelevant zu erklären (wie es etwa der fanatische Kardinal Manning tat).
2. Die Papstdogmen des 1. Vaticanums machen de facto (und wohl auch de iure) eine Berufung auf die "Tradition" unmöglich, wenn ein Papst von dieser abweicht oder diese mit Füßen tritt. Um dieses Problem voll zu verstehen, muss man sich mit der Entstehung der erstvatikanischen dogmatischen Formeln, das heißt deren diversen Entwürfen auseinandersetzen. So begreift man, dass von verschiedenen Konzilsvätern oder sonstigen Theologen (darunter durchaus auch ultramontanen!) vorgeschlagene Klauseln für die dogmatische Formel (der Unfehlbarkeit), die eine Rückbindung des Papstes an die Tradition beinhaltet haben, bei der Endfassung gerade
nicht berücksichtigt wurden. Auch manche Formulierungen außerhalb der eigentlichen Dogmenformeln, die eine solche Rückbindung nahelegen, können diesem Mißstand nicht abhelfen, da der jeweilige Papst sich im Zweifelsfall einfach auf den Dogmentext im engeren Sinne zurückziehen kann, der keine Einschränkung enthält. Damit aber gibt es keine Instanz mehr, mit Hilfe derer man überprüfen könnte, ob ein Papst rechtgläubig lehrt oder nicht. Wenn sich also die heutigen Tradis und Sedis auf "die Tradition" berufen, um sich den Päpsten bzw. "Päpsten" zu widersetzen, dann appellieren sie dabei an eine Instanz, die es im Lichte der erstvatikanischen Dogmen unabhängig vom obersten Lehramt, d. h. dem Papst, eigentlich gar nicht gibt. Natürlich haben auch diejenigen, die die Papstdogmen durchgedrückt haben, nicht Tradition und päpstliches Lehramt schlechthin identifiziert, aber zumindest soweit, dass sie davon ausgegangen sind, dass es faktisch nie der Fall sein werde, dass ein Papst die Tradition mit Füßen tritt.
Das sind lediglich zwei Punkte, die sich noch um einige weitere vermehren ließen. Ich rate jedem, der sich seriös mit dem 1. Vaticanum beschäftigen möchte, zur Lektüre der einschlägigen Bücher von Klaus Schatz SJ, August Hasler, Harding Meyer und Hubert Wolf, die sehr unterschiedlich sind, was inhaltliche Akzente und auch den Tonfall angeht, sich aber gerade dadurch sehr gut ergänzen. Wer jedoch davon ausgeht, dass es mit dem 1. Vaticanum keine Probleme gibt und auch gar nicht geben kann, der braucht natürlich nicht seine Zeit mit Lesen und Sich-Fortbilden verschwenden...