Versorgungszentrum - Gedanken zum Sonntag (Netzfund)
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„In der Kirche liegt jetzt ein Teil dessen, was die Welt gespendet hat, ein Versorgungszentrum haben sie aus dem Gotteshaus gemacht,“ schreibt heute der Kölner Stadt-Anzeiger, „jede Kirchenbank eine Supermarktabteilung: Feuchttücher und Windeln, Dosensuppe, Dinkel-Vollkornbrot, Hundefutter vor Bank vier, Unterwäsche auf dem Altar. Vor der Kirche steht ein Zelt mit mobilen Duschen darin, vier für Männer, vier für Frauen. Nothygiene in Katastrophenzeiten.“
Mayschoss an der Ahr. Man habe schon lange überlegt, was man mit der Kirche machen solle, erzählen Anwohner an anderer Stelle. Kaum noch Gottesdienste werden dort gefeiert. Auch ein Verkauf wurde diskutiert. Und nun dies. Eine der unzähligen Geschichten, von denen die Zeitungen aus Katastrophengebieten erzählen.
Und mehr als dieses handfeste Bild von der Kirche als Versorgungszentrum braucht es nicht, um die erlösende Kraft des Evangeliums vom Sonntag zu erahnen.
Es ist wieder mal die Geschichte vom Brotwunder. Am Ende eines Tages sitzen Jesus und seine Gefährten 5000 Männern gegenüber, oben auf einem Berg. Da sind die Frauen und Kinder noch gar nicht mitgezählt. Und da stellt sich die ganz praktische Frage: Wie nur sollen die vielen Menschen hier am Ende der Welt versorgt werden? Einer macht eine rasche Kalkulation: „Brot für zweihundert Denare reicht nicht aus, wenn jeder von ihnen auch nur ein kleines Stück bekommen soll.“ Ein anderer entdeckt den Proviant eines kleinen Jungen: „Hier ist ein kleiner Junge, der hat fünf Gerstenbrote und zwei Fische; doch was ist das für so viele!“ Wie es weitergeht, ist bekannt – und eine der berührendsten und rätselhaftesten Passagen des Evangeliums: „Dann nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, soviel sie wollten; ebenso machte er es mit den Fischen.“ Und selbst als alle Menschen etwas bekommen haben bleiben noch zwölf Körbe mit den Stücken, „die von den fünf Gerstenbroten nach dem Essen übrig waren.“
Erlösung passiert, wenn einer damit anfängt. Daran habe ich sofort gedacht, als ich das Evangelium nun wieder gelesen habe. Wie zum Beispiel Bruno Kahoj, ein Däne, der sich einen Bagger geliehen hat, an die Ahr gefahren ist und in Mayschoss jetzt eine Straße freiräumt. Erlösung beginnt, wenn einer das Kalkulieren einstellt, die Bedenken beiseiteschiebt, die Berechnungen sein lässt, ein Stoßgebet zum Himmel schickt – und loslegt. Wie zum Beispiel auch die evangelische Thomaskirche in unserer Nachbarschaft, die derzeit fast täglich mit Helferinnen und Helfern im Rhein-Sieg-Kreis anpackt. Wie so viele, viele, viele andere Menschen in diesen schlimmen Tagen.
Das lutscht nicht die unglaubliche Verzweiflung und die unbeschreibliche seelische und materielle Not der Menschen rund. Im Gegenteil. Und doch erzählen unendlich viele Menschen in diesen Tagen von der Hoffnung – dort, wo sie total sinnlos erscheint. In dem sie mit dem Erzählen einfach anfangen. Das scheint mir das Geheimnis zu sein.
Als ich den Stadtanzeiger lese, sehe ich vor meinen Augen die Babynahrung auf der Kirchenbank in Mayschoss, das Hundefutter in Bank vier, die Unterwäsche auf dem Altar. Communio – Gemeinschaft mit Gott und untereinander – das feiern Christinnen und Christen dankbar in der Eucharistie. Dass sie das Leben bringen soll ist oft schwer zu glauben. Und liegt in diesen Tagen doch so wunderbar auf der Hand.
Foto: Screenshot der Berliner Morgenpost / Peter Otten