"Ein Bruch mit der Vergangenheit
Jene „Konservativen“, die leugnen, daß verschiedene Punkte im Zweiten Vatikanum einen Bruch mit der Tradition und früheren Äußerungen des Lehramtes - wenigstens durch Zweideutigkeit, Schlüsse, die gezogen werden können, und Auslassungen - darstellen, haben es versäumt, den eigentlichen Antreibern und Aufrührern des Konzils zuzuhören, die dies schamlos bestätigen. …Mehr
"Ein Bruch mit der Vergangenheit
Jene „Konservativen“, die leugnen, daß verschiedene Punkte im Zweiten Vatikanum einen Bruch mit der Tradition und früheren Äußerungen des Lehramtes - wenigstens durch Zweideutigkeit, Schlüsse, die gezogen werden können, und Auslassungen - darstellen, haben es versäumt, den eigentlichen Antreibern und Aufrührern des Konzils zuzuhören, die dies schamlos bestätigen.
Yves Congar, einer der Verfasser der Reform, bemerkte mit stiller Genugtuung, daß die Kirche „friedlich ihre Oktoberrevolution vollzogen“ hat.[1]
Derselbe Pater Yves Congar stellte fest, daß die Erklärung der Religionsfreiheit des Zweiten Vatikanums dem Syllabus von Papst Pius IX. entgegensteht. Im Hinblick auf Artikel 2 dieser Erklärung sagte er:
Es kann nicht geleugnet werden, daß ein Text wie dieser materiell etwas anderes sagt als der Syllabus von 1864, und beinahe sogar das Gegenteil der Sätze 15 und 77-79 dieses Dokumentes.[2]
Schließlich schrieb vor einigen Jahren Kardinal Ratzinger, offenbar nicht erschüttert durch dieses Eingeständnis, daß er den Konzilstext Gaudium et Spes für einen „Gegensyllabus“ hält. Er stellte fest:
Wenn man nach einer Gesamtdiagnose für den Text [Gaudium et Spes] sucht, könnte man sagen, daß er (in Verbindung mit den Texten über Religionsfreiheit und über die Weltreligionen) eine Revision des Syllabus Pius' IX., eine Art Gegensyllabus darstellt... Begnügen wir uns hier mit der Feststellung, daß der Text die Rolle eines Gegensyllabus spielt und insofern den Versuch einer offiziellen Versöhnung der Kirche mit der seit 1789 gewordenen neuen Zeit darstellt.[3]
Das seit 1789 neu gewordene Zeitalter besteht in seiner Auswirkung in seiner Erhebung der „Menschenrechte“ über die Rechte Gottes.
In Wahrheit ist Kardinal Ratzingers Kommentar beängstigend, insbesondere, da er von jenem Mann kommt, der als Präfekt der Heiligen Kongregation für die Glaubenslehre damit beauftragt ist, über die Reinheit der katholischen Lehre zu wachen. Aber wir können auch eine ähnliche Bemerkung des progressistischen Kardinals Suenens, selbst Konzilsvater, zitieren, der von „alten Regimen“ spricht, die zu Ende gegangen seien. Die Worte, die er gebrauchte, um das Konzil zu preisen, sind äußerst vielsagend, beklemmend und belastend. Suenens erklärte: „Das Vatikanum II ist das 1789 der Kirche.“[4]
Der Status der Dokumente des II. Vatikanums
Jahrelang haben die Katholiken unter der falschen Vorstellung gelitten, sie müßten das Pastoralkonzil, nämlich das Zweite Vatikanum, mit derselben Glaubenszustimmung, die sie den dogmatischen Konzilen schulden, annehmen. Das ist jedoch nicht der Fall.
Die Konzilsväter bezogen sich wiederholt auf das Zweite Vatikanum als einem Pastoralkonzil, einem Konzil, das sich nicht damit beschäftigte, den Glauben zu definieren, sondern anzuwenden.
Die Tatsache, daß das Zweite Vatikanum gegenüber einem dogmatischen Konzil untergeordnet ist, wurde durch das Zeugnis eines Konzilsvaters, nämlich Bischof Thomas Morris bestätigt, das gemäß seinem Wunsche nicht vor seinem Tod enthüllt wurde:
Ich war erleichtert, als man uns mitteilte, daß das Konzil nicht darauf aus war, Lehrsätze zu definieren oder endgültige Erklärungen abzugeben, denn ein Lehrsatz muß sehr sorgfältig formuliert werden, und ich habe im Gegensatz dazu die Konzilsdokumente als Versuch und als reformbedürftig angesehen.[5]
Beim Abschluß des Zweiten Vatikanums fragten die Bischöfe den Generalsekretär des Konzils, Erzbischof Pericle Felici, nach dem, was Theologen die „theologische Note“ des Konzils nennen, das heißt, nach dem lehramtlichen „Gewicht“ der Lehren des Vatikanum II. Felici antwortete:
Man muß je nach den Schemata jene Kapitel, die bereits in der Vergangenheit Gegenstand dogmatischer Definitionen gewesen sind, von den übrigen unterscheiden. Was die Erklärungen betrifft, die den Charakter einer Neuerung haben, muß man Zurückhaltung üben.[6]
Nach dem Abschluß des Zweiten Vatikanums gab Paul VI. diese Erklärung:
Da gibt es diejenigen, die fragen, welche Autorität, welche theologische Qualifikation das Konzil seinen Lehren geben wollte, wohlwissend, daß es vermied, feierliche dogmatische Definitionen, die Unfehlbarkeit beanspruchen, zu verabschieden. Die Antwort kennt jeder, der sich an die Konzilserklärung vom 6. März 1964, wiederholt am 16. November 1964, erinnert: Angesichts des pastoralen Charakters des Konzils vermied es dieses, auf außerordentliche Weise Dogmen mit dem Merkmal der Unfehlbarkeit zu verkünden.[7]
Mit anderen Worten: Das Zweite Vatikanum beansprucht im Gegensatz zu einem dogmatischen Konzil keine unbedingte Glaubenszustimmung.
Die wortreichen und zweideutigen Sätze des Zweiten Vatikanums stehen nicht auf gleichem Niveau mit dogmatischen Verkündigungen. Daher sind auch die Neuerungen des Zweiten Vatikanums für den Gläubigen nicht unbedingt bindend. Katholiken dürfen „Vorbehalte äußern“ und sogar jenen Lehren des Konzils widerstehen, welche mit dem ständigen Lehramt der Jahrhunderte im Widerstreit stehen.
[1] (Erzbischof Marcel Lefebvre, Offener Brief an die ratlosen Katholiken (Mediatrix, Wien 1986), S. 149.)
[2] Yves Congar, O.P., Challenge to the Church (London, 1977), S. 147; zitiert in: Michael Davies, The Second Vatican Council and Religious Liberty (Neumann Press, Long Prairie 1992), S.203.
[3] Joseph Kardinal Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre (Erich Wewel, München 1982), SS. 398-399.
[4] Erzbischof Marcel Lefebvre, Offener Brief an die ratlosen Katholiken (Mediatrix, Wien 1986), S.149.
[5] Bischof Morris in einem Interview mit Kieron Woods von der Catholic World News vom 27. September 1997.
[6] Erzbischof Pericle Felici mündlich; zitiert in: Erzbischof Marcel Lefebvre, Offener Brief an die ratlosen Katholiken (Mediatrix, Wien 1986), S.160.
[7] Cf. Atila Sinke Guimaraes, In the Murky Waters of Vatican II (TAN Books, 1999), SS. 111-112."