Guntherus de Thuringia
1193

KÖK #23 - 2. Das Gewissen

Das Gewissensurteil macht verpflichtend bewußt, was zu tun und was zu lassen ist

- In der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte" 1948 haben die Vereinten Nationen betont: "Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt" (Art. 1).

- "Gewissenlos" handelt, wer unter Mißachtung seines Gewissens Verbrechen begeht; "Gewissenlosigkeit" meint also nicht ein Fehlen des Gewissens bei Menschen. "Das Gewissen erinnert den Menschen an die Forderung einer letzten Unabhängigkeit von Interessen dieser Welt. Nur dann bewahrt der Mensch seine Würde, wenn er in ... Treue zu dem Anruf des Gewissens allen Versuchungen widersteht, der Faszination des Reichtums, der Macht und des Ansehens nachzugeben" (DBK-EKD 1979, 25).

Die Heilige Schrift gibt Kunde vom Gewissen

- Im Alten Testament fehlt der Begriff "Gewissen", nicht das damit Gemeinte; denn Schuld wird bewußt (Gen 3); der Psalmist betet: "Denn ich erkenne meine bösen Taten, meine Sünde steht mir immer vor Augen" (Ps 51,5).

- Im Neuen Testament heißt es: "Wenn Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, daß ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab, ihre Gedanken klagen sich gegenseitig an und verteidigen sich" (Röm 2,14 f.). "Allen Menschen sind die Forderungen des Gesetzes ins Herz geschrieben; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab" (DBK-EKD 1979, 29).

Das Gewissen als Anlage bedarf beständiger Bildung

Dabei spielen äußere Einflüsse (das soziale Umfeld) eine wichtige Rolle: Was gut und böse ist, erfährt der Mensch durch andere; damit sind auch Fehler und Irrtümer verbunden. Das Gewissen ist jedoch weder nur Produkt von Erziehung (Friedrich Nietzsche) oder Spiegel der Wertvorstellungen der Gesellschaft (Karl Marx), noch einfachhin "Stimme Gottes". Gewissensbildung beziehungsweise Gewissenserziehung sind unerläßlich (KKK 1783).

Das Gewissen ist "durch Gesellschaft und Erziehung bei den einzelnen Menschen verschieden geprägt ... Ziel aller Gewissensbildung und -erziehung ist das mündige Verantwortungsgewissen" (EEKat 494).

Das Gewissen bedarf der Orientierung an Gottes Willen, an Geboten, Normen, Werten

- Gottes Gebot gilt vor staatlichen und kirchlichen Gesetzen: "Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg 5,29).

- Das christliche Gewissen ist das an Gottes Wort beziehungsweise das an Jesus Christus gebundene Gewissen (vgl. DH 3,1; EEKat 495).

- "Alles, was ihr ... von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten" (Mt 7,12). Diese sogenannte "Goldene Regel" entspricht dem Gebot der Nächstenliebe (Mt 22,39), ist Inhalt eines Weltethos.

- Gesetze sind nach ihrem Sinn zu erfüllen, nicht nach ihrem Buchstaben auszulegen. In manchen Fällen kann Handeln gegen ihren Wortlaut Pflicht sein (Mk 2,23-28). "Auch kirchliche Normen und Gesetze können zwar für den Christen als Glied der Kirche im Gewissen verbindlich sein, vermögen aber nicht, ihn von seiner unmittelbaren Verantwortung vor Gott zu entbinden" (L-RK, Kirche und Rechtfertigung. 1994, 237).

Dem (begründeten) Gewissensurteil muß man folgen (EEKat 495; KKK 1782.1790; DH 3)

- Das vorangehende Gewissen mahnt vor einer Entscheidung zum Guten, beziehungsweise es warnt vor dem Bösen.

- Das nachfolgende Gewissen billigt eine richtige Entscheidung, beziehungsweise es klagt einen Verstoß dagegen an.

- Im Gewissensakt entscheidet der einzelne in einer bestimmten Situation, was er zu tun beziehungsweise was er zu lassen hat.
Niemand darf gezwungen werden, gegen sein Gewissen zu handeln – zum Beispiel nicht zum Kriegsdienst mit der Waffe (Grundgesetz, Art. 4,3).

Die Gewissensaussage ist wahr, wenn sie mit dem Gesetz übereinstimmt; sie ist irrig, wenn sie davon abweicht

Ein "irrendes Gewissen" liegt vor, wenn jemand meint, richtig zu handeln, aber (unbewußt) gegen eine ethische Forderung verstößt, sich anders hätte verhalten müssen. Wenn jemand überzeugt ist, daß sein Gewissensurteil richtig ist, so muß er ihm folgen, sogar den Ausschluß der Sakramentengemeinschaft der Kirche auf sich nehmen (KEKat II, 134, mit Thomas von Aquin).

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Heinz Schütte: Kleiner Ökumenischer Katechismus. Fünfte, aktualisierte und ergänzte Auflage, © Johannes-Verlag Leutesdorf 2001, S. 42-45. - Mit kirchlicher Druckempfehlung des Ständigen Vertreters des Diözesanadministrators (Bistum Trier), Nr. 1/12001 vom 21. März 2001, i.A. Prof. Dr. Maximilian Hommens.
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